Mein Spiel dauert 60 Minuten

Gastautor Henrik Schütte schreibt seit Beginn seines Freiwilligendienstes in Kambodscha seinen Blog “Angkor What?!“. Über eine erste Fußballbegegnung am anderen Ende der Welt, die so gar nicht läuft wie erwartet und dadurch umso schöner wurde.

Schuhe geschnürt, Trikot und Hose angezogen und ab aufs Rad in der freudigen Erwartung von Tokla an der Schule abgeholt zu werden, um mit mir zum Sportplatz zu fahren. Nachdem ich 40 Minuten vergeblich auf ihn gewartet habe, beschließe ich mich auf den Heimweg zu machen, ehe die Moskitos alles Blut aus meinen Adern saugen. Ziemlich frustriert und enttäuscht bekomme ich auf der Hälfte des Weges die Nachricht „Sorry I forgot, I can pick you up at school now.“ Da das Spiel eh um eine Stunde verschoben worden ist, kommen wir pünktlich.

Auf die Frage hin, wo ich den normalerweise spielen würde, muss ich mit meinem Messi Trikot natürlich „Striker“ antworten. Und weil ich halt ne große Klappe habe, höre ich mich noch prahlen:  „and I score a lot of goals!“ Um einen möglichst guten ersten Eindruck zu hinterlassen, will ich möglichst schnell ein oder zwei Tore machen, vielleicht einen Hackentrick, um dann vorne zu parken und die anderen machen zu lassen.
Beim Aufwärmen bekomme ich dann das erste Mal den Ball zugespielt. Alle gucken mir neugierig zu. Ein, zwei, drei mal hochhalten und dann Schuss! Leider rutscht mir der Ball über den Schlappen und fliegt im hohen Bogen über das Tor. Na toll. Ich erspare mir weitere Peinlichkeiten, das Spiel beginnt und es läuft bei mir – zwar mehr rückwärts und bergab, aber immerhin. Ich bekomme kaum Bälle und wenn ich dann mal einen habe, werde ich ihn meist sofort wieder los. Nach 45 Minuten die ernüchternde Bilanz: kein Tor, eine Vorlage, ein paar gelungene Dribblings, ein paar kurze Pässe und viele Ballverluste. Zu allem Überfluss liegen wir auch noch 2:6 hinten.
Die zweite Hälfte beginnt dann deutlich besser. Wir laufen zu zweit auf den letzten Verteidiger zu, ich lege den Ball rüber, mein Mitspieler im 6$-BVB-Trikot zieht unplatziert ab, trifft den Torwart, kriegt den Ball wieder und spielt ihn zu mir. Der Ball kommt auf meinen linken Fuß an. Wer mich kennt weiß, ich kann mit allen Füßen schießen. Außer dem linken. Aber mir gelingt es tatsächlich die Kugel ins fast leere Tor zu schieben. Was für ein traumhaftes Dreckstor! Die nächsten Minuten verlaufen wie im Rausch. Nach einem halbhohen Zuspiel stehe ich alleine vor dem Torwart und ziehe Volley ab – diesmal mit dem rechten Fuß. Das Runde ist im Eckigen. Gerüchten zufolge, mussten die Betreiber des Sportplatzes am nächsten Morgen das Netz auswechseln. Nur wenige Minuten danach kriege ich den Ball 7 Meter vor dem Tor in den Rücken gespielt. Mit dem Rücken zum Tor, beschließe ich den Ball mit der Hacke aufs Tor zu schießen. Hilft ja nix und mir gelingt gerade alles. Der Ball geht tatsächlich am Torwart vorbei unten rechts ins Tor. Lupenreiner Hattrick: eins mit links, eins mit rechts und eins mit der Hacke. Ich sag doch: „I score a lot of goals“. Dass der Kopfball kurz danach knapp drüber geht, ist mir egal. Mittlerweile habe ich auch eine bessere Alternative gefunden, als vorne im Strafraum zu parken. Immer mehr Teammitglieder sind in der Halbzeit von der Arbeit eingetroffen und wollen mitspielen. Nach 60 Minuten bin ich der Meinung, dass die anderen auch mal ran sollen. Schließlich habe ich ja meinen Teil fürs Team getan.
Erschöpft, verschwitzt, und glücklich schaue ich mir den Rest des Spiels von der Seitenlinie mit meiner Wasserflasche an. Wir verlieren zwar noch 7:8, aber eigentlich ist mir das egal. Nach dem Spiel stehen wir noch am Spielfeldrand und Tokla quatscht mir ein Trikot der kambodschanischen Nationalmannschaft auf. Immerhin nur 8$. Abends werde ich zur Facebookgruppe der Mannschaft hinzugefügt.
Feuertaufe bestanden.
Bild mit freundlicher Genehmigung von Henrik Schütte
Gastautor*in Verfasst von:

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