Teil 4: Alte Muster verlieren in SIegen

Studentenstadt Siegen. Obwohl ich mir versprach, auf dieser Reise keine Nacht mehr in einer Studentenstadt zu verbringen, aufgrund der hohen Kosten, drohten mir hier keine überhöhten Ausgaben. In Siegen wohnt nämlich einer meiner besten Freunde Malte.

Ich werde nicht verbergen, dass meine Ankunft nicht auf dem Fahrrad sondern im Zug geschah. Die Gegend um Siegen herum, genauer gesagt Wuppertal, war eine Hölle von Steigungen und Senkungen einer Art, mit der ich bis jetzt noch nicht konfrontiert wurde. Einen Berg bezwungen wartete zehn Kilometer weiter einer, der fünf Mal so steil war und wie auf viele Situationen seit der Abreise, war ich auf diese Aussichten nicht vorbereitet. Malte holte mich also in der Nähe von Wuppertal ab, überreichte mir seinen Wohnungsschlüssel und ließ mich in Köln raus. Er selbst musste weiter. Selten war ich so glücklich ein bekanntes Gesicht zu sehen. Ich nahm also den Regionalzug und rollte ein anderthalb Stunden Richtung Siegen.

Durchatmen

Es war die erste lange Verschnaufpause seit meinem Aufbruch: wie dankbar ich war für jede Sekunde der Erholung. Die ersten drei Tage verbrachte ich allein und nutzte die Zeit für Dinge, die weder während der Fahrt, noch an einem Abend zu erledigen waren, wie Klamotten waschen und an meinem Videoprojekt arbeiten. Ich schlenderte durch die steilen Straßen Siegens und dachte daran, wie ich die aufgeschobenen, jedoch nicht aufgehobenen, Bergfahrten bezwingen sollte, denn Siegen ist umgeben von Gebirgen. Was für Wege würden mich darüber hinaus erwarten? Nicht jede Straße ist gut gepflastert, nicht jeder Pfad eben ausgelegt und obwohl mein Fahrrad für viele Terrains geeignet war, für viele war es das nicht. Blauäugig legte ich mein Vertrauen in meine App, die mich bereits mehrmals durch fragwürdige Strecken geschickt hatte und rätselte, ob ich ausversehen einen versteckten „Lebensmüde“-Modus aktiviert hatte.

Schnell überließ ich diese Gedanken meinem Zukunfts-Ich und genoss die Abende vor dem Fernseher, in einer Umgebung, die sich nicht bei jedem erneuten Aufwachen änderte. Ich hing immer noch sehr am komfortablen Leben und ein Lebensstil der seit Jahren gelebt wird, lässt sich nach zwei Wochen nicht einfach abstreifen. Ich wusste bereits am ersten Tag, dass die Abfahrt aus Siegen mir schwerer fallen könnte, als beim Antritt der Reise. Dieses Mal wusste ich genau, was ich hinter mir lassen würde und ebenfalls war mir bewusst, dass ich für einige Zeit wohl kein bekanntes Gesicht mehr sehen würde.

Alte Freunde – Neue Kräfte

Am vierten Abend kehrte Malte Heim und wir hatten uns viel zu erzählen. Diese ungewohnte Erfahrung mit einem Freund zu teilen, erleichterte mir die Verarbeitung dieser und ich erhielt guten Rat von einem Menschen, der mich sehr gut kannte. Ich merkte, dass der Umgang mit ihm dieses Mal anders war, unbelastet und natürlich. Ich bin mir sicher, dass es daran lag, dass ich auf der Reise, wie bereits erwähnt, eine neue Wertschätzung für die mir wichtigen Menschen in meinem Leben fand.

Meine Vorahnung erwies sich als richtig und es war dieses Mal tatsächlich schwieriger den ersten Tritt in die Pedale zu tätigen. Eine Woche Ausruhen brachte jedoch neue Kraft in die Beine und als das Rad ins Rollen kam, fuhr es nicht wie ein altes quietschendes Getriebe wie davor, sondern wie eine gut geölte Maschinerie. Die Symbiose zwischen Mensch und Fahrrad, hatte neue Ebenen erreicht.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Paul Kuprianow
Paul Kuprianow Verfasst von: