Utopien pflanzen

Wie man gemeinnützige Projekte einfach selbst umsetzen kann

Vanessa und Robin hatten auf ihrer Reise in Gambia die Idee, gemeinnützige Projekte wie einen Baum zu organisieren: Eine Idee haben, diese pflanzen, wurzeln lassen, verbreiten, wachsen lassen, Früchte ernten. Klingt utopisch? Welche Erfahrungen die beiden mit ihrer realen Utopie machen und wie du selbst ein Teil des „Cashewtree“ sein kannst, liest du hier:

FREIHAFEN: Hi Vanessa, hi Robin. Schön, dass ihr euch Zeit nehmt.

Vanessa Feldmann (VF): Danke dir.

FREIHAFEN: Wir beschäftigen uns gerade mit dem Thema Utopie. Was ist denn eure Utopie?

Robin Feldmann (RF): Unsere Utopie, wovon wir schon lange träumen, ist, dass die Menschen sich als Menschheit verstehen. Dieses Bild „Frieden auf Erden“ ist unser Wunsch. Ganz viele Konflikte, die es gibt, seien es Rassismus, Sexismus, Benachteiligung von Menschen mit Behinderung – da betrachtet man sich nie als Menschheit, sondern zum Beispiel als Schwarz oder Weiß. Dass dieses Verständnis global erzeugt wird, ist unsere Vorstellung, wie es weitergehen könnte mit der Menschheit. (lacht) Dadurch würden auch Probleme wie Armut und Klimawandel gelöst werden, weil das rücksichtslose Verhalten dann aufhört, weil jede*r die Verantwortung für andere übernimmt und jede*r sich im Klaren ist, dass wir alle im selben Boot sitzen.

FREIHAFEN: Ihr tut euren Teil, um diese Utopie in die Realität umzusetzen. Was hat der „Cashewtree“  damit zu tun?

RF: Den „Cashewtree“ haben wir im April 2020 als Unternehmen gegründet und hat den Zweck, ein Beratungs- und Unterstützungsnetzwerk für gemeinnützige Projekte zu sein. Wir wollen eine Brücke bilden zwischen dem kapitalistischen Unternehmensgedanken und dem freien Gedanken von Nächstenliebe und dass man einfach Dinge tut, weil sie richtig und gut sind.

Der Cashewtree ist so aufgebaut, dass alle Projekte als wachsender Baum betrachtet werden und in Phasen aufgeteilt sind: Zuerst die „Vision“, also die Idee einer positiven Veränderung in der Welt. Diese Vision wird dann in eine „DNA“ gefasst, also einen Projektplan oder mehr einen Leitfaden. Denn letztlich wächst ein Baum ja auch dahin, wo das Licht ist, und wenn ein Ast abfällt, passt sich der Baum an. Das heißt, die „DNA“ ist nicht so starr, wie es in der Wirtschaft eigentlich üblich ist. Dann bildet man den „Seed“, also bereitet alles vor, um das Projekt zu starten: Verträge schließen, Freund*innen überzeugen, Materialien sammeln. Danach kann man das Projekt starten und dem „Tree“ beim Wachsen zusehen und später die Früchte ernten.. Diese Einheitlichkeit der Phasen und das Bild des Baumes macht das Projektmanagement des Cashewtree nachvollziehbarer. Der Cashewtree selbst ist mein persönliches Projekt in der Organisation, es ist sozusagen das erste Projekt seiner eigenen Art.

VF: Im Kern geht es dabei immer um das Netzwerk. Also dass viele Menschen sich versammeln und sich gegenseitig bei den Projekten unterstützen. Nicht unbedingt mit Geld, sondern mit Fähigkeiten.

FREIHAFEN: Wie genau macht ihr das, dass ihr eure Utopie real umsetzt?

RF: Das ist eine gute Frage. (lacht) Wir wollen den Cashewtree, wie der Name sagt, an der Natur orientieren. Weil die Natur funktioniert, wie sie funktioniert. Wir bieten an, dass Menschen sich selbst verwirklichen und sich mit der Gemeinschaft des Cashewtree identifizieren können. So ein Baum wächst, wenn Nährstoffe und Wasser dazukommen. Dann wird dieser Baum größer, nimmt immer mehr auf und wird stabiler, gewinnt an Größe, Schönheit und Funktion. Wir wollen so klein anfangen, wie wir eben sind und eigene Projekte auf die Beine stellen, wo wir denken, dass sie positive Veränderungen in die richtige Richtung darstellen.

Das Schöne ist, dass der Cashewtree so frei ist: Man kann Projekte machen, wie man sie für richtig hält, solange sie positive Veränderungen mit sich bringen, niemandem zum Nachteil sind und man selbst davon überzeugt ist.

Je mehr Menschen zum Cashewtree dazustoßen, desto mehr Projekte gibt es. Dann lässt sich auch ein gemeinsamer Wille erkennen. Acht unserer engsten Freunde haben wir ins Team geholt und jede*r hat ein eigenes Projekt, an dem er*sie wachsen möchte. Wenn man das von außen sieht, dass man selbst die Vorstellung einer besseren Welt in der Organisation umsetzen kann, dann werden automatisch Leute dazukommen. Man muss natürlich etwas dafür tun, aber mit mehr Menschen kann man Verantwortung aufteilen und ist gemeinsam stark.

FREIHAFEN: Welches Projekt steht gerade an vorderster Stelle?

RF: Es war so, dass viele Projekte wegen Corona mehr Geld gekostet als sie eingenommen haben. Wir konnten uns dann nicht mehr erlauben, wirklich alles ohne Geld umzusetzen. Also war die Frage, wie wir trotzdem weitermachen können mit dem Cashewtree.

Die Hauptidee ist, die ganze Unterstützungs- und Beratungsplattform, die wir mit dem Cashewtree bieten wollen, auch digital umzusetzen.

Für diese Idee war die Zeit dann gekommen und wir haben uns überlegt, dass wir mit einem Crowdfunding an Geld kommen und gleichzeitig das Projekt mit der Crowd, also der Gemeinschaft, zusammen aufbauen könnten. Weil wir denken, dass viele Leute das Projekt nicht nur finanziell unterstützen wollen, sondern weil sie es für eine gute Idee halten und Teil davon sein wollen. Also haben wir die Plattform als App präsentiert, aber die Komplexität etwas heruntergeschraubt. So hat sie einen neuen Namen bekommen: „Planet People“. Sie konzentriert sich auf die gemeinnützigen Anleitungen.

FREIHAFEN: Was sind das für Anleitungen und für wen sind sie?

RF: Das Konstrukt, worauf die Anleitungen basieren, ist das gleiche wie beim Cashewtree mit den wachsenden Phasen. Ich bin auch Eventmanager und habe daher den Blick von außen, worauf man bei Events allgemein achten muss. Diese Anleitungen wollen wir mit dem Netzwerk gemeinsam entwickeln. Wir gießen die verschiedenen Konzepte dann zusammen in die genannten Phasen, um viele Perspektiven einheitlich und übersichtlich abzubilden.

VF: Ich denke, die Leute, die die Anleitungen nutzen werden, sind wahrscheinlich eher jüngere Leute, die schon immer mal eine gemeinnützige Aktion oder ein Projekt starten wollten, aber nicht ganz wissen, wie. Die können sich auf der Website etwas aussuchen, zum Beispiel einen Tauschschrank. Da steht dann, wie man den platziert, an welche Behörden man sich wenden muss und so weiter. Sodass diese Leute das umsetzen können ohne viel Vorwissen oder Ressourcen.

RF: Dass Leute zum Cashewtree dazukommen, passiert dadurch, dass sie dann merken, dass ein Netzwerk dahintersteht und Menschen, die einen an die Hand nehmen und die ähnliche Ansichten haben. Und irgendwann plant man dann eigene Projekte.

Die Kampagne hat nun nicht ganz so geklappt, wie wir uns das vorgestellt haben, aber das ist auch in Ordnung. Die Öffentlichkeit von etwas zu überzeugen, das noch nicht existiert, ist immer ein Problem.

FREIHAFEN: Was meint ihr, warum hat das Projekt bzw. eure Utopie bisher nicht so viel Anklang gefunden?

VF: Das schwierigste ist, glaube ich, andere Mensch von der Vision zu überzeugen und ihnen zu vermitteln, was man genau meint. Und es dann noch zu erreichen, dass dieser Mensch, der dir gegenübersteht, es genauso interpretiert und das gleiche Gefühl dabei hat wie du. Für uns ist der Cashewtree und die Idee dahinter eine riesige Sache und eine riesige Chance. Es ist ganz schlimm wichtig, dass wir uns in Hinblick auf Klimawandel und so weiter verändern. Da stößt man gerade in Deutschland auf Geister, die das nicht so sehen und es eher als „Kinderscheiß“ betrachten und auf bestehende Strukturen pochen. Ich habe die Erfahrung gemacht: je älter, desto mehr Widerstand.

RF: Heute sind Arbeiten, Wirtschaft und Geld das Höchste aller Dinge. Dabei ist der Grundgedanke, dass Besitz überleben bedeutet, verloren gegangen. Es ist schon die Tendenz in der Geschichte der Menschheit zu erkennen, die Richtung Frieden und Harmonie ging. Und dass noch nicht jeder Mensch an diesem Punkt der Erkenntnis angekommen ist, liegt an der Zeit und an der Bildung. Das ist einfach so. (lacht) Aber das kann sich ja noch in die richtige Richtung bewegen.

FREIHAFEN: Meint ihr also, dass die ultimative Erkenntnis jedes Menschen ist, diese Vision gutzuheißen? Für andere ist der Lebensinhalt vielleicht, möglichst viel Geld zu verdienen.

VF: Also ich finde, dass jeder Mensch das machen soll, was er fühlt, also worauf er Lust hat, wofür er brennt. Wenn jemand dafür brennt, ganz viele Millionen von Euro zu scheffeln, dann kann er das machen. Mir ist wichtig, dass dieser Mensch dabei keine anderen Menschen verletzt und der Welt etwas Schlechtes tut, während er sich selbst verwirklicht.

RF: Das sehe ich auch so. Technologie ist zum Beispiel eine Bereicherung für das Leben und es ist ein Bedürfnis der Menschen, weiterzukommen. Aber eben erst, wenn es allen Menschen auf einem gewissen Level gut geht. Es kann nicht sein, dass man Milliarden an Euro in Raumfahrtprogramme steckt, während auf der anderen Seite Kinder verhungern.

FREIHAFEN: Seid ihr erfolgreich mit der Vermittlung eurer Utopie im persönlichen Umfeld? Wo gibt es Schwierigkeiten?

VF: Viele Freund*innen konnten wir überzeugen und an Bord holen. Aber meine Großeltern verstehen zum Beispiel überhaupt nicht, worum es geht. Sie geben sich wirklich Mühe, aber schaffen es einfach nicht. Meine Mutter ist auch sehr sicherheitsorientiert und will natürlich, dass es mir gut geht, dass ich Sicherheit habe. Für sie ist es schwierig zu verstehen, dass meine Sicherheit woanders liegt als im Geld.

RF: Aber das kommt. Dadurch, dass wir es einfach machen. Ist bei meiner Mutter dasselbe. Dadurch, dass man nicht darauf hört, was man gesagt bekommt. Man kann es aufnehmen, aber dadurch, dass wir uns nicht runterziehen lassen von den Ratschlägen, die aus Angst formuliert werden, kann man nur dadurch Veränderung herbeiführen, dass sie es sehen. Denn nur was man sieht, glaubt man auch.

FREIHAFEN: Einmal zurück zu Planet People. Wenn das Crowdfunding nicht so läuft wie gedacht, wie geht es jetzt weiter?

RF: Nächsten Monat werden wir unsere Wohnung aufgeben und auf Reisen gehen. Von unterwegs will ich die Anleitungen auf jeden Fall trotzdem schreiben und auf der Website als Planet People präsentieren. Kostenlos. Und wenn die Leute dann verstehen, worum es geht, und wenn es gut ankommt, können wir weiterschauen. Eine App daraus zu machen, ist ein Traum, aber wir werden nicht daran festhalten, wenn es nicht sein soll. So funktioniert das nämlich nicht. An etwas festzuhalten, das man unbedingt will, ist nicht der Wille des Cashewtrees. Der Cashewtree ist, was die Leute, die sich damit identifizieren, also die Gemeinschaft, wollen, und da passen wir uns an. Das Geld, das gerade im Crowdfunding gespendet wird, fließt aber trotzdem in die Anleitungen, auch ohne eine App.

FREIHAFEN: Um eure Utopie umsetzen zu können, müsst ihr dennoch auf bestehende Systeme aufbauen. Wie findet ihr es, dass es dennoch Geld und eine langfristige Wirtschaftlichkeit des Projektes braucht, um zu bestehen, obwohl ihr diesen Gedanken eigentlich ablehnt?

VF: Geld ist ein schwieriges Thema, gerade als junger Mensch und mit einem Sinn für die Umwelt. Aber wenn man Geld als Ressource betrachtet und als etwas, das man nutzen kann, hat es wieder einen anderen Charakter. Wenn man ein Haus bauen will, braucht man Holz. Mit dem Geld ist es ähnlich. Je nach dem, wie man es aufbaut. Wenn wir in Deutschland leben wollen, wo viel mit Geld gehandelt wird, gehört es dazu und es ist okay, es zu nutzen. Es ist dann nicht etwas, ohne das man nicht leben kann. Man ist nicht komplett abhängig vom Geld, aber man kann sich für diese Ressource entscheiden, also dass man sie nutzen möchte.

RF: Geld ist ja auch nur Papier, das kann man nicht essen.

FREIHAFEN: Robin, du hast dich nach deiner Zeit bei der Bundeswehr Vollzeit dem Projekt verschrieben, du, Vanessa, hast nach der Ausbildung und eurer gemeinsamen Gambia-Reise deinen Job danach als Heilerziehungspflegerin gekündigt. Ist es ein Privileg, sich einer Sache so zu verschreiben? Kann das jede*r schaffen?

RF: Gerade der Anfang ist schwierig, wo man nicht direkt in die Selbstverwirklichung einsteigen kann. Das ist ganz individuell auf den Menschen zugeschnitten. Ich konnte durch die Bundeswehr viel Geld sparen, wovon ich am Anfang leben konnte. Außerdem habe ich einen Existenzgründungszuschuss vom Staat bekommen. Es ist nicht so, dass wir ein Privileg haben und unsere Utopie deshalb umsetzen können. Es ist einfach so, dass der Wille, etwas zu verändern und zu tun, immer stärker ist – oder stärker sein sollte – als alles, was einen scheinbar zurückhält. Wenn man einen Job hat, kann man zum Beispiel in der Freizeit anfangen, seine Vision umzusetzen. Man muss sich einen Plan machen und flexibel sein. Dann kann man es in jeder Lebenslage schaffen, definitiv. Es ist nie zu spät.

FREIHAFEN: Habt ihr einen Rat für alle mit einer Utopie, die bisher nur im Kopf existiert, aber unbedingt rauswill?

VF: Womit wir immer, immer, immer gut gelandet sind, ist: einfach loslegen. Ausschwärmen. Wenn du eine Idee hast, die sich richtig gut anfühlt, dann gieße diese Idee! Wenn du dann merkst, das war nicht die Idee und du hast eine neue, dann nimm die neue Idee und gehe in die Richtung. Also alles ausprobieren und nie den Mut verlieren. Lass dich dann nicht von irgendwelchen festgefahrenen Menschen runterziehen, sondern mache immer weiter und blicke immer auf dein Gefühl und deinen Traum.

FREIHAFEN: Danke für eure Zeit.

RF: Danke dir.

VF: Hat Spaß gemacht! Danke für dein Interesse.

Das Interview führte Luisa Gohlke.

Noch nicht genug Utopie-Content gehabt? Hier widmet sich Kim der Frage, was eine Utopie eigentlich ist. Unsere ganze Utopie-Reihe findest du hier.

Bild mit freundlicher Genehmigung von the Cashewtree UG (haftungsbeschränkt)
Luisa Gohlke Verfasst von:

Leidenschaftliche Medienmacherin und neugierig auf alles, was die Welt bereithält.