Eine feministische Auseinandersetzung mit Pornographie

Oder auch einfach: Authentisch Ficken

Ein Artikel von Hendrik Joachim & Linn Könnecke

Spätestens seit Bestsellern wie Margarete Stokowskis „Untenrum frei“ oder auch Sophie Passmanns „Alte weiße Männer“ hat das Thema Feminismus auch im deutschen Mainstream wieder frischen Wind in den Segeln. Gleichberechtigung und Diversität sind quasi im Trend. Aber das Adjektiv feministisch wird weit über das Trennscharfe hinaus, wie ein Gütesiegel auf alles geklatscht, was nicht gerade ausschließlich aus hellblauen Hemden besteht. 
Feministische Bewegungen, feministische Podcasts aber auch Dekoration oder Kleidung bleibt nicht davon verschont, feministisch genannt zu werden und jetzt auch Pornographie. Der Mainstream sorgt also dafür, dass das Thema vielen Menschen präsent ist, birgt damit aber auch eine Schattenseite. Beispielsweise verkaufen große Fast Fashion Labels unter menschenunwürdigen Umständen hergestellte T-Shirts mit „I am a feminist“ Print und missbrauchen es so als Verkaufsargument.

Wie fügt sich feministische Pornographie in diese Umstände ein? Was macht sie aus, was anders und was kann sie ändern? Sprich: Leere Worte oder gehaltvolle Debatte? Bevor es richtig losgeht, sollte eine gemeinsame Ausgangsposition geschaffen werden. Daher folgt eine kurze Definition, die die Basis des Artikels bildet. 

„Es gibt nicht den einen Feminismus. Es gibt viele verschiedene Bewegungen und Theorien, die sich für unterschiedliche Themen starkmachen und sich teilweise sogar widersprechen. Trotzdem gibt es einen Kern, der wohl alle Feminismen verbindet. Feministisch bedeutet sich einsetzend für die Gleichstellung aller Menschen, gegen Sexismus und gegen die Diskriminierung von Frauen.“

Feminist*innen kritisieren, dass auch heute noch die meiste Macht in den Händen von     [Cis-]Männern liegt. Dazu gehören der Zugang zu Geld und die Macht über Personen (z.B. in den Chefetagen). Aber es geht auch darum, wem zugehört wird, wer als kompetent angesehen wird oder wer in Geschichtsbüchern auftaucht (über viele wichtige Frauen und Menschen die sich nicht als männlich oder weiblich definieren wird in der Geschichte einfach nie berichtet oder ihre Bedeutung wird klein geredet).“

„Das Ziel von Feminismus ist nicht, statt Männern Frauen an die Macht zu bringen. Es geht um gerechte Verteilung und mehr Selbstbestimmung für alle.“  

Quelle: Genderdings

Feminismus ist also ein Stück weit Gleichberechtigung. Niemand soll etwas verlieren oder eingeschränkt werden, solange alle Menschen gleichberechtigt sind. Feministische Pornographie ist somit als gleichberechtigte Pornographie zu verstehen. Klingt erstmal wie eine wichtige Sache.

Wir schreiben aber nicht darüber, damit ihr der*die progressive Kulturwissenschafts-Studierende auf der nächsten WG-Party sein könnt. Wir schreiben darüber, weil wir in dem Thema ein unterschätztes Potential sehen. Um herauszufinden, worin sich dieses äußert, haben wir mit Expert*innen das Gespräch gesucht. 

Herausforderungen

Zuerst müssen wir uns dem Begriff annähern; Feministische Pornographie (Fem Porn), was ist das überhaupt? Wie erklärt man es Leuten, die noch nie davon gehört haben?

Patrick Catuz ist Mitbegründer der Plattform Arthouse Vienna und Autor des Buches „Feminismus fickt“. Er erklärt im Interview die entscheidenden zwei Momente, in denen feministische Pornographie die Industrie herausfordert. Laut ihm sei zum einen die Repräsentation und die Produktion das Zünglein an der Waage. Die Produktion eines Pornos durch eine Frau sei aber nicht als Garantie zu verstehen, dass auch feministische Werte vermittelt werden. Entscheidend seien „Frauenfiguren in der Mitte der Handlung, die ihre eigene Motivation haben, ihre eigenen Interessen haben, ihre eigene Lust, ihre eigenen Begehren.“

Mit seinem Label Arthouse Vienna versucht er, zusammen mit Adrianeh Simonian in der geteilten Leitung, diesen Gedanken umzusetzen. Die Perspektive hierbei endet nicht an binären Grenzen, sondern beinhaltet Intersektionalität.

Expert*in für diese Perspektive ist Alice Eric Moe. Er*sie ist Sozialarbeiter*in und
(Porno-)Performer*in und setzt sich sehr für eine multiperspektivische Aufarbeitung des Themas ein.  Darin findet sich auch die Thematisierung aller Sexualitäten und Geschlechter wieder. Wie Alice Moe es auf den Punkt bringt: „Authentisch ficken.“ Authentizität in vielerlei Hinsicht: Gender, Body Type und nicht zu vergessen Emotionen.

Er*sie empfindet, „der Cast kann super divers sein und ich sehe im Porno, dass sie sich nicht wohlfühlen. ‘Schuldigung da hab ich keinen Spaß.“ Viele feministische Pornos legen deswegen Wert darauf, Konsens sichtbar zu machen.

Aktueller Wandel

Um den aktuellen Diskurs besser einordnen zu können, möchten wir etwas weiter ausholen. Wirklich verbreiten konnte sich Fem Porn erst durch das Internet, weil die großen Produktionshäuser und Distributoren zuvor kein Interesse an dem Markt hatten. „Es ist eine Nische, die in den letzten 10 Jahren kontinuierlich stark gewachsen ist“, fasst Patrick Catuz zusammen. An Plattformen wie PinkLabel.TVfeuer.zeug oder Arthouse Vienna ist zusehen, dass Nachfrage vorhanden ist und die Industrie im Begriff ist, sich zu wandeln. Patrick Catuz beschreibt, dass es auch viele Darstellende gibt, die auf den ersten Blick nicht ausgewiesen feministisch sind, aber dennoch Inhalte produzieren, die feministische Werte vermitteln. Oft produzieren diese von zuhause aus Pornos und sind somit ihre eigenen Chef*innen, entscheiden wie der Film aussieht, und was gemacht wird. 

„Amateur Darstellende können viel selbstbestimmter arbeiten“ bestätigt AnjaAmelia. Sie produziert von zuhause aus und publiziert erfolgreich auf My Dirty Hobby (bekannteste deutschsprachige Website für Amateurpornografie) und eigener Website. Durch diese Tatsache schafft es auch feministischer Porno mehr in den Mainstream. AnjaAmelia dreht nur noch mit ihrem Ehemann oder anderen Frauen und möchte dadurch ein Bild vermitteln, wie Sex in der Realität mit Gefühl und Sinnlichkeit aussieht. Ihr Content ist sowohl frei zugänglich auf großen Plattformen als auch auf Websites mit Paywall zu finden. Das Feedback, welches sie dafür bekommt, ist sehr positiv. Viele Fans schreiben ihr „dass sie nicht mehr auf den klassischen Porno stehen, sondern lieber echten mit Emotionen schauen.“

Das in feministische Pornographie Geld fließt, bemerken auch große Plattformen und steigen mit ein. Unter Tags wie „von Frau für Frauen“ wird gut ausgeleuchteter, sanfter Content produziert, während nur eine sehr oberflächliche Auseinandersetzung mit feministischen Werten passiert. Dabei wird ein missverständliches Bild von feministischen Pornos erzeugt, nämlich dass diese nur an Frauen gerichtet sind. Selbst wenn sich feministische Pornographie ausschließlich in „Frauenporno“ äußern würde, wäre die Darstellung immer noch stereotypisiert. Die Annahme, eine Frau wolle romantischen und handlungsbasierten Porno sehen, wird reproduziert. Feministisch sind diese Produkte meistens nicht. Patrick Catuz betitelt diese als „Same old garbage, mit neuem Schleifchen.“
Damit ist jedoch nur der vermeidlich feministische Porno beschrieben, nicht grundsätzlich der konventionelle. Diesen verurteilen die feministisch Darstellenden und Produzierenden nicht. Paulita Pappel, die aktuell meistrezipierte Produzentin und Regisseurin von feministischen Pornos in Deutschland erklärt es so: „Wenn man über konventionellen Porno redet, reproduziert man das Klischee, dass Pornographie generell schlecht sei.”

Zurück zur eigenen Körperlichkeit

„Pornographie ist nicht grundsätzlich schlecht“, äußert sich auch Jana Welch im Interview. Die Sexologin mit Praxis in Hamburg berät Klient*innen aller Altersstufen zu Herausforderungen die Sexualität und Liebe betreffen. Von Orgasmus-Schwierigkeiten über Pornosucht bis hin zur Paartherapie. Ein Umstand, den der Pornokonsum im spezifischen hervorbringt, ist das – auch ohne bestehende Sucht – sogenannte „Erregungsmuster“ entstehen, die den schnellsten Weg zum Höhepunkt trainieren. Problematisch ist, dass diese Muster meist in der Realität mit Partner*innen als wenig lustvoll beschrieben werden. Wird Sexualität einzig und alleine nach dem Porno- Vorbild gelebt,  kann es sein, dass man in diesen Fantasien gefangen ist und die Realität nicht mehr attraktiv findet. Wenn also ein junger Mann, so beschreibt es Welch beispielhaft, sich den ganzen Tag Pornos mit Frauen ansieht, die große Brüste haben, so könnte er es am Abend herausfordernd finden, mit seiner “flachbusigen” Freundin zu schlafen.
Bei dieser Art des Pornokonsums, wird Sexualität dann nur von außen wahrgenommen und nicht in der eigenen Körperlichkeit erlebt. 

Es sei einfach wichtig, sich der Tatsache bewusst zu sein, dass Pornographie Auswirkungen auf unser Sexleben haben kann – aber nicht zwingend haben muss. Es komme immer auf eine gesunde Dosis an und auf die Möglichkeit auch mal ohne Porno masturbieren zu wollen. Denn gerade bei der Masturbation gehe es auch darum, in Kontakt mit dem eigenen Körper zu kommen, sich zu fühlen, sich zu entdecken, mit sich zu spielen. Lustvoll und ohne Plan. Denn es ist oft so, dass wir uns synchron zum Porno bewegen – meist schnell und mit viel Druck. Es gehe ganz oft nur um eine physiologische Entladung und weniger um Self Love. Porno ist eben Porno und entspricht meist nicht der Realität. Dies kann immer dann herausfordernd sein, wenn Menschen anfangen, sich mit den Porno Darstellern zu vergleichen, oder aber deren Handlungsweisen kopieren.  So beeinflusse Porno die sexuelle Aufklärung einer ganzen Generation. Hier wird gezeigt, wie geleckt und gevögelt wird – meist schnell und immer zu Gunsten der Männer. Denn meist wird nur der männliche Orgasmus gezeigt – die Frau schluckt. Es ist daher sehr wichtig, dass wir Porno gerne als Inspiration nutzen, aber eben nicht ausschließlich – denn es geht doch auch ums Fühlen und nicht nur um eine Entladung in 2 Minuten.

Es fehle die Sicherheit, dem zu vertrauen, das rein unserer Fantasie entspringe, beziehungsweise noch nie vorher irgendwo gesehen wurde. Damit werde darauf eingewirkt, wie frei und kreativ wir unsere Sexualität ausleben. 

Beim Rauchen beispielsweise nehmen Menschen wissentlich ein Gesundheitsrisiko in Kauf, um dem Verlangen nach Nikotin oder auch einem bestimmten Gefühl nachzugehen. Beim Porno wiederum schwingen die (eventuellen) Auswirkungen mangels Aufklärung bislang nur unterschätzt mit. Darin, nicht in der Essenz der Pornographie, liegt das Problem. 

Eine dieser unterschätzten Nebenwirkungen ist, dass Sex schnell zu einer Performance werde, die angelernt werde wie eine Choreografie, wie uns auch Alice Moe bestätigt. „Ich schau mir auch Mainstream-Porno an, da ist nichts Verwerfliches dran. Aber ich habe das Gefühl, das ist choreografiert und das löst Unsicherheiten aus.“ Eine reflektierende Herangehensweise ist das, was wir brauchen. Das Unrealistische darf ruhig gegeben sein, solange klar ist, dass Porno Fantasy ist. Und genau dafür darf Porno auch genutzt werden; um die Fantasie anzuregen. Jana Welch plädiert dafür, zu hinterfragen, welche Fantasien wir von uns selbst mitbringen, dennoch betont sie, ist es erlaubt, sich inspirieren zu lassen. Allerdings bestehen schon häufig genaue Erwartungen an das Resultat unserer Suchanfrage, sodass Inhalte, die von unseren Sehgewohnheiten abweichen, wenig Chancen haben. Content, der feministisch oder ähnlich inspirierend sein könnte, bekommen einige so gar nicht erst zu Gesicht.

Nebeneinander nicht gegeneinander

Ein Vorurteil mit welchem Fem Porn zu kämpfen hat, ist, dass er nur künstlerisch sei. Diese Wahrnehmung bekommen wir auch von unseren Expert*innen gespiegelt. Häufig kommt feministische Pornographie tatsächlich eher mit einem künstlerischen Anspruch daher, beispielsweise wie jene, in denen Alice Moe performt. Das Verhältnis der Zuschauenden sei aktuell eher wie das von Connaisseur*innen zu betrachten, welche gezielt und mit spezifischen Ansprüchen auf die Suche gehen. Catuz verbildlicht es in Bezug auf sein Label mit dem Vergleich, dass es „nicht das Popradio, sondern die Plattensammlung, die Du hast“ sei. Und diese können, wie auch bei der Musik in einer Welt koexistieren.

Konträr zu einem verbreiteten Trugschluss ist feministische Pornographie im Konsens unserer Expert*innen als Alternative, nicht als Ersatz zu sehen. Das Genre muss nicht irgendetwas wiedergutmachen, dass der nicht ausgewiesen feministische Porno hervorbringt, sondern ist eine neue, andere Herangehensweise an das Thema Porno. 
Grundsätzlich kann alles feministisch sein und von allen Seiten kann und soll Beeinflussung passieren. Auch Genres wie „Hardcore Porno“ können feministisch sein und es wäre schade, wenn dem nicht so wäre. Nicht nur sollten Pornos als Fantasie und Inspiration erkannt werden, sondern auch die Tatsache in Betracht gezogen werden, dass Sexualität auch instinktiv, animalisch, triebhaft gesteuert ist. Alice Moe tritt dafür ein, dass das schiere Verlangen nach „Körperteilen, die sich gegenseitig beglücken und das es einfach zur Sache geht“ genauso bedient werden muss.  In einigen Momenten werde dafür „der Aufbau davor manchmal nicht gebraucht.“ 

Träumen wird ja wohl noch erlaubt sein

Das Genre und die Branche entwickelten sich unerlässlich weiter und werden dies auch in Zukunft tun. Wo genau die Reise hingeht, ist noch unklar. Was aber sind die Prognosen, die Utopien? Unsere Gäst*innen haben uns Einblicke in ihre Vermutungen, aber auch kühnsten Träume gewährt. Unabhängig voneinander kam einheitlich die Sprache auf das Thema „staatliche Förderung“ für Pornographie, besonders mit einem Augenmerk auf das Aufklärungspotential. Pornos hätten eine große Chance, wertvolle, lebensnahe Aufklärung zu leisten. Jana Welch wünscht sich altersgerechte Beiträge zu verschiedenen Themen, die in angemessenem Umfang erklären und bilden. Außerdem soll Sexualität etwas Alltägliches werden, über das ohne Scham gesprochen werden kann.
Alice Moe spricht sich für staatliche Förderung aus, da das volle Potential von Fem Porn erst damit entfaltet werden kann. Außerdem wünscht er*sie sich eine Selbstverständlichkeit im Austausch von normalen Körperlichkeiten, die durch Bezug zum Sexuellen tabuisiert werden. Er*sie setzt fort, Feministischer Porno sollte barrierefrei zugänglich sein. Auf einer großen Plattform sollten verschiedene Genres zu finden sein und die Konsumierenden könnten sich sicher sein, dass alles fair produziert wurde. Pornos sollten aus ihrer Verbannung in die After-Hours in die Prime Time befördert werden. 
Paulita Pappel hofft ebenfalls auf einen gesellschaftlich offeneren Umgang und wünscht sich Pornos würden in der Zukunft von den gleichen Filmförderungsanstalten unterstützt werden wie andere Filme und genauso im Kino laufen.

Unser Ziel ist es, das Thema Pornographie von einer aktuellen Perspektive aus zu erschließen. Eine unumgängliche Voraussetzung bei Pornographie aber auch Sexualität ist, dass bei all der Theorie, in der Praxis hauptsächlich die Lust und der Spaß im Vordergrund zu stehen haben. Die Vielseitigkeit des Themas und der stetige Wandel sind nicht zu übersehen. Sich all dem in einem Artikel anzunehmen und das eventuell zum ersten Mal, verlangt viel ab. Was den Stand der Dinge angeht, so bietet der Artikel einen exklusiven Überblick mit aktuellen Impressionen und gewährt damit Einblick in ein Arbeitsfeld, dass von der Produktion über Beratung, Aufklärung bis hin zu Darstellung ein unglaubliches Spektrum an Schauplätzen bietet. Wir möchten ein Gefühl dafür mitgeben, was feministische Pornographie überhaupt bedeutet.

Was uns alle Gesprächspartner*innen nahegelegt haben: den Spaß an erste Stelle setzten!

Jetzt ist hoffentlich die Lust geweckt, aber wohin damit?
Das hier sind Adressen, Seiten, Labels, Bücher oder auch nur einzelne Projekte bei denen sich das Vorbeischauen laut unseren Interviewpartner*innen lohnt: 
Im Artikel erwähnt: 
feuer.zeug
PINKLABEL.tv
My Dirty Hobby 

Darüber hinaus: 
Pornfilmfestival Berlin 
Coming Soon: Orgasmus ist Übungssache (Dania Schiftan)
hysterical literature (Clayton Cubitt)
four chambers
Erika Lust 
AnjaAmelia
Alice Moe
Arthouse Vienna

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Arthouse Vienna, Elin Halvorsen, Alice Eric Moe, AnjaAmelia, Jana Welch und Hendrik Joachim
Hendrik Joachim Verfasst von:

Immer auf Trab und ein bisschen drum herum.