Um Punkt neun Uhr gehe ich auf die Wiese zu. Drei Personen stehen an einer Parkbank und scheinen auf etwas zu warten. In Parkas und mit Mützen auf schauen sie mich an. „Seid ihr auch wegen Josh hier?“, frage ich. Aila, Jakob und Swiss bestätigen meine Annahme. Ich stelle mich kurz vor und gemeinsam warten wir auf Joshua Oliver Philip Alsen. Im Netz nennt er sich unter anderem „alsendigga“ und „shamanjii.“
Die drei erzählen mir, dass sich die Treffen im Hayns Park bei ihnen wie ein Lauffeuer rumgesprochen hätten. Über etliche Ecken hätten sie davon gehört. Sie reden noch einen Moment weiter und dann kommt er.
Joshua ist groß und besitzt eine auffällige Ausstrahlung. Schon von weitem höre ich die Musik, die aus der Bluetooth Box kommt, welche er in der Hand trägt. Mit großen, weiten Schritten stapft er über die Wiese und ruft: „Victory!“
Als Joshua bei uns angelangt ist, werden alle herzlich begrüßt. „Ich würde vorschlagen, dass wir mit Wim Hof Breathing anfangen, vor dem Sport. Und dann ein bisschen Thai Chi bevor wir ins Wasser gehen,“ Joshua schaut in die Runde, ob jemand etwas dagegen einzuwenden hat. Scheinbar ist dies ein neuer Ablauf.
Zu Beginn setzen sich alle in einen weiten Kreis auf den klammen Boden. Bisher sind es fünf Personen, darunter zwei Frauen. Bis zum Ende kommen noch drei weitere hinzu. Nur vereinzelt laufen Menschen durch den Park. Im Kreis sitzend erzählt Joshua wie die Übungen funktionieren. Wim Hof Breathing: es wird dreißig Mal stark ein- und ausgeatmet. Danach ein letztes Mal ausatmen und die Luft anhalten. Den Reflex, schnappartig einzuatmen, unterdrücken, um dann erneut tief einzuatmen und erneut die Luft anzuhalten.
Später erzählt mir Joshua: „Die Leute, die heute hier sind, kenne ich überhaupt nicht! Die sind alle über irgendwelche Kontakte hierher gekommen.“ Er erklärt mir die Konstellationen; wer über wen welche Informationen bekommen hat; wer wessen Instagram-Stories gesehen hat. „Ich würde auch so dieses Training durchziehen, aber wenn ich dabei noch andere Menschen anschreien kann, dann ist das umso besser!“ Er lacht. „Ich merke, wie ich Führungsqualitäten durch diese Sessions bekomme. Eine Führungsperson sollte nämlich nicht bestimmen wo es lang geht, sondern nur die Richtung weisen.“ Ich nicke.
„Wenn du ohnmächtig wirst – auch nicht so schlimm!”
Ich stehe da und sehe zu wie die fünf im Schneidersitz ihre Atemübungen beginnen. Wenn ich die Augen schließe, höre ich eine extrem laute Luftpumpe – als würde jemand eine Luftmatratze aufpumpen. Joshuas Körper hebt und senkt sich. Sein Mund ist zu einem O geformt und ich höre wie er die Luft in seine Lungen zieht. Unweit der Fünf spielt ein Mann mit seinem Hund Ball. Der Hund rast an den Sitzenden vorbei. Neben Joshua auf dem Boden steht ein Farbeimer, seine Bluetooth Box und sein Handy. Als ich ihn später frage, was in dem Farbeimer sei, antwortet er schlicht: Farbe. Kein Geheimnis, keine Zauberei. Dann halten die Fünf die Luft an und es herrscht absolute Stille. Es ist kalt und meine Hände zittern.
Nach der zweiten Runde „Wim Hof Breathing“, fragt Aila, woran sie es fest machen könne, dass sie zu weit gehe. „Schwindel ist eigentlich normal,“ antwortet Joshua, „so ein bisschen dizzy.“ Weiter sagt er, dass sie in sich hinein fühlen und einfach danach gehen solle, was ihr Körper ihr sagt. „Wenn du ohnmächtig wirst – auch nicht so schlimm!“ dabei lächelt er verschmitzt. Die einzigen Menschen, die sonst unterwegs sind, joggen, fahren Fahrrad oder führen ihre Hunde Gassi. Sie sind alle alleine.
Es geht in die nächste und letzte Runde. Jetzt zückt Joshua sein Handy und filmt die Anwesenden für eine Instagram-Story. Er schwenkt einmal durch die Runde und wechselt dann zu seiner Frontkamera. Er atmet tief aus. Ich spüre, dass die Anwesenden Joshua und sein Training ernst nehmen. Alle konzentrieren sich auf die Atmung. Niemanden scheint es zu stören dabei von ihm gefilmt zu werden. Letztlich sind sie ja selbst nur durch seine Instagram-Stories auf ihn gekommen.
Es passt zu dem, was Joshua vorher zu mir meinte: dass die Leute das jetzt dringender denn je brauchen, das Gefühl von Zusammenhalt und Stärke. Er erklärt mir auch, dass das ganzheitliche Kardio-Training, welches sie hier machen, die beste Abwehr gegen Viren überhaupt sei. „Deine Blutgefäße sind wie die Rohrleitungen deines Hauses. Sind sie erstmal hin, kannst du es abreißen! Deshalb ist dieser warm-kalt Wechsel so wirksam, weil dadurch deine Gefäße geöffnet und stabilisiert werden.“
Nach den Atemübungen hält Josh die Runde dazu an, gemeinsam zu laufen. Über die Wiese laufen die acht Personen in einem großen Kreis, an verschiedenen Bäumen vorbei, um den Pavillon herum und wieder zurück in meine Richtung. Erst joggt jede*r für sich. Dann fängt Joshua damit an Sprinteinlagen in die Runden einzubauen. „Ey!“, ruft er. „Sprint! Von dem Baum zum dünnen Baum!“ In seinen Händen hält er die Bluetooth Box, die Kelis “Trick Me” durch den Park schallen lässt. Joshua wirkt in seinem Element zu sein. Er besitzt die Fähigkeit, die Menschen anzutreiben, weil er selbst mit einer Energie geladen ist, die sich scheinbar auf die Menschen um ihn herum überträgt.
„Lockert euch! Lockert eure Muskeln!”
Nebenbei erzählt er mir, dass am vergangenen Dienstag die Polizei da gewesen wäre. Aber die seien mit dem einverstanden gewesen, was sie dort machen. „Nur hatte mein Hund einen anderen gebissen und deshalb waren die da.“ Er grinst.
Nach bestimmt zehn Minuten des Laufens merke ich, wie sich das Tempo der Laufenden verlangsamt. Joshua ruft ihnen zu, dass sie noch zwei lockere Runden machen sollen. Dabei gibt er Töne von sich und hält fremde, joggende Menschen dazu an, ein Wettlauf mit ihm zu veranstalten. Jedoch ohne Erfolg.
Jetzt sammeln sich alle wieder im Kreis. Sie schütteln sich zur Musik. „Lockert euch! Lockert eure Muskeln!“, ruft Joshua. Während er in die nächsten Übungen geht, erklärt er stets, was er jetzt tut. Dann fährt ein Streifenwagen vor und hält auf dem Kiesweg unweit der Gruppe. Fünf Minuten steht der Wagen dort, ohne dass sich die Türen öffnen. In der Gruppe kommt etwas Unbehagen auf, aber sie machen dennoch weiter.
9:45 Uhr, drei Beamte steigen aus dem Streifenwagen. Sie gehen auf die Gruppe zu. Zufälligerweise ist es Joshua, der am nächsten zu den Beamten hockt. Nachdem er mit ihnen geredet hat, fahren sie wieder fort. „Also Leute,“ fängt Joshua an, „der gute Bürger, der rechtsschaffende Bürger, hat angerufen und sich beschwert.“ Es gestalte sich wohl so, fährt er fort, dass die Polizei selbst nichts dagegen hätte, was die Gruppe hier mache, es aber mit den Auflagen nicht zu verbinden sei. Der Schluss: es wird sich in kleineren Pärchen zusammengefunden und Joshua schreit noch lauter. Er schlägt vor, dass nur noch kurz trainiert wird, es dann eine Runde Thai Chi gibt und sie danach eis-baden gehen.
Während die anderen fleißig ihre Übungen machen, kommt Joshua zu mir. „Weißt du,“ sagt er, nachdem ich ihn fragte, wie lange er diese Trainings schon anbiete, „die Polizei findet das eigentlich gut, was wir hier machen. Die müssen nur kommen, wenn jemand anruft.“ Dann ist es so weit. Alle ziehen sich bis auf die Unterwäsche aus und stapfen langsam, aber kontinuierlich in das kalte Wasser. Ich bin fasziniert.