Der Schauplatz ist eine WG-Party. Zusammen mit ein paar negativ getesteten Kommiliton*innen lachen wir über ein Kompliment eines gemeinsamen Kommilitonen. „Er ist schon ein Süßer.“, sagt er. Im nächsten Atemzug sagt er „Aber nicht das ich schwul bin oder so…“. Zuerst lächle ich über diesen typischen No Homo-Kommentar. Die Parenthese No Homo ist mittlerweile fester Bestandteil der Jugendsprache und soll dem anderen männlichen Gesprächspartner signalisieren, dass keine homosexuellen Absichten in der vorherigen Äußerung impliziert sind. Solch ein Verhalten mit teils unterschiedlichen Ausdrücken aber immer derselben Aussage ist mir schon oft seitens männlich gelesener Menschen an dem ein oder anderen feucht fröhlichen Abend begegnet.
Es stellt sich mir die Frage, warum dieser Kommilitone uns allen im Raum unter die Nase reiben muss, dass er heterosexuell ist, auch wenn dies niemand je zuvor in Frage gestellt hat. Nur weil er ein harmloses Kompliment gegenüber einer anderen männlich gelesenen Person gemacht hat. Genau diese Frage stelle ich und sage auch, was ich darüber denke. Als ich meine Bedenken äußere, stimmen mir meine Kommiliton*innen an sich zu. Vor allem von den zwei Kommilitoninnen kriege ich Zuspruch. Kleinlaut gibt der besagte Kommilitone nach und gibt zu, dass der Kommentar unnötig sei. Ob sich was an seiner Denkweise ändert, weiß ich nicht und wage es auch zu bezweifeln.
Ein Hoch auf die Alltagshomophobie
Auch wenn dies vielleicht indirekt geschieht, sind Ausdrücke wie No homo eine homophobe Äußerung. Dies passt sehr gut in das Bild von toxischer Männlichkeit. Würde sich die Situation zwischen zwei weiblich gelesenen Menschen abspielen, gäbe es solche Kommentare nicht. Es wäre normal, sich gegenseitig Komplimente zu machen. Genauso wie es gesellschaftlich deutlich akzeptierter ist, wenn zwei Frauen sich küssen als zwei Männer. Laut der repräsentativen Erhebung „Die enthemmte Mitte“ der Universität Leipzig finden 40 Prozent der Deutschen es „ekelhaft“, wenn zwei Männer sich in der Öffentlichkeit küssen.
Bei Frauen kommt da dann doch eher der Kommentar, ob Mann noch mitmachen kann, weil ja sonst ein Mann fehlt. Liebe zwischen Frauen wird oft sexualisiert oder nicht ernstgenommen.
Indem sich auf diese Weise von Homosexualität distanziert wird, um eine mögliche Assoziation und damit einhergehende Anfeindungen zu vermeiden, wird Homosexualität automatisch als etwas Negatives dargestellt. Letztendlich ist das klassische Alltagshomophobie, die leider vielen Menschen doch noch nicht wirklich bewusst ist. Der Charakter einer Person wird aufgrund ihrer Sexualität direkt in eine Schublade gesteckt und der Person vermeidliche Charaktereigenschaften angedichtet. Die komplette Persönlichkeit wird auf die eigene Sexualität degradiert.
Auch wenn meine Generation sich als sehr woke gibt und trotz einer vermeidlich toleranten Sichtweise, treffe ich immer wieder auf solche Äußerungen. Jegliches scheinbare Abweichen vom heteronormativen Ideal von Männlichkeit ist negativ konnotiert.
Die Sache mit dem Outing
Als queere Person wird mir in solchen Situationen immer wieder mulmig. Selbst beim Schreiben dieses Artikels frage ich mich, wie persönlich ich diesen machen möchte und ob ich mich irgendwie outen möchte. Dennoch entscheide ich mich in diesem Fall dafür. Meistens oute ich mich nicht, sondern spreche meine Bedenken einfach an, wenn ein*e Gegenüber eine homophobe Aussage tätigt. Denn letztendlich habe ich genauso wie mein Kommilitone Angst, mit etwas Negativen assoziiert zu werden. Auch wenn ich im Gegensatz dazu weiß, dass Homosexualität nicht das Negative ist, sondern das heteronormative toxische Männlichkeitsbild, mit welchem ich verglichen werde.
Hinsichtlich Outings bei Freund*innen habe ich ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Einerseits wird es kommentarlos hingenommen, dass ich auch Männer date und kein Unterschied gegenüber heterosexuellen Menschen gemacht. Andererseits kommen in anderen Gruppen noch Nahfragen zu meiner Sexualität: „Was ist denn eigentlich mit dir?“ oder „Wie funktioniert das denn eigentlich mit dem Sex?“. Da muss ich dann doch erstmal ein paar grundlegende teils aber auch unangebrachte Fragen beantworten. Die fehlende queere Aufklärungsarbeit an Schulen ist da deutlich zu spüren. Die bisher beste Aussage, die ich zu hören bekommen habe, war, dass ich nicht hetero wirke und auf die Nachfrage warum kam ein „Du bist so nett!“.
Und das alles nur weil ich vielleicht nicht dem maskulinen Idealbild entspreche? Schon irgendwie unnötig das Ganze, denke ich mir.
Zu viele Labels, zu wenig Aufklärung
Die Mehrheitsgesellschaft findet dieses Denken in weiblichen und männlichen Idealbildern gar nicht so unnötig. Viele orientieren sich noch an einem klassischen heteronormativen Bild von Sexualität und Geschlecht. Auch ich bin mit diesem heteronormativen Bild aufgewachsen und wurde während meiner Schulzeit auch nicht über andere Sexualitäten oder queeren Sex aufgeklärt. Das Bewusstsein für queere Menschen bestand aus der Tatsache, dass sie existieren und dass man nett zu ihnen sein soll.
Umso verwirrter sind Menschen mit einem heteronormativen Weltbild, wenn sie mit der Vielzahl an Sexualitäten und Labeln konfrontiert werden, welche es mittlerweile gibt. Auch wenn selbst dieser Ausdruck so einige Kontroverse hervorrufen kann. Als ich das erste Mal auf einem CSD war, haben mich die vielen unterschiedlichen bunten Pride-Flaggen auch erstmal verwirrt.
„Wer behält da denn noch den Überblick?“, mögen sich einige Menschen fragen. Die meisten Menschen der breiten Mehrheitsgesellschaft sind unaufgeklärt und können nicht wirklich etwas mit Labeln und ihren ganzen Bedeutungen anfangen. Nach hetero, homo und vielleicht noch bi hört es eigentlich schon auf. Tendenziell Menschen aus älteren Generationen haben mir berichtet, dass sie sich etwas überfordert fühlen, wie sie denn am besten queeren Personen ansprechen, ohne direkt in ein Fettnäpfchen zu treten. Diese Überforderung ist vielleicht nicht ganz unbegründet, aber längst noch kein Hindernis, um nicht heterosexuellen Menschen aufgeschlossen zu begegnen. Die ein oder andere sensible Nachfrage kann da schon Wunder bewirken.
Hilfe oder pure Verwirrung?
Auch in Gesprächen mit queeren Freund*innen tritt eine kleine Kontroverse auf. Auf der einen Seite Menschen, die Labelling als sehr hilfreich empfinden. Nach einer teils längeren Phase des Hinterfragens ihrer Sexualität haben sie endlich eine Antwort gefunden, aus der sie auch Kraft schöpfen sowie einen Teil ihrer Identität klar benennen können.
Die andere Seite ordnet ihrer Sexualität bewusst kein Label zu und nicht weil sich diese Personen noch in einer Findungsphase befinden. Letztendlich muss ich mich nicht einem bestimmten Label zuordnen, um eine Person eines anderen oder des gleichen Geschlechts zu daten.
Falls ich aber mein Label ändern sollte, müsste ich mich ja noch einmal bei allen erneut outen. Das vorige Liebesleben und Gefühle werden in Frage gestellt. Meine Gesprächspartner*innen verstehen meine Bi- bzw. Pansexualität oft so, als ob ich mich noch nicht auf ein Geschlecht festgelegt habe und ich mich noch für ein Geschlecht entscheiden müsse. Es besteht irgendwie ein Zwang, sich unbedingt sexuell festlegen zu müssen, weil ich sonst nichts Ganzes sei.
Festzuhalten bleibt, dass es für einige Personen sehr hilfreich sein kann, sich auf ein spezifisches Label festzulegen. Andererseits trifft dies längst nicht auf jede Person zu, mich eingeschlossen. Ich nehme da dann doch viel lieber eine allgemeine Bezeichnung und bezeichne mich einfach als queer.
Warum das Narrativ von queeren Menschen Aufholbedarf hat
Diese lockere Einstellung ist längst nicht die vorherrschende Einstellung in der Gesellschaft. So vermitteln es ebenfalls die Geschichten von queeren Personen, welche in Film, Serien oder Büchern gezeigt werden. Die überwiegende Mehrheit dieser Geschichten setzt sich vor allem mit dem Coming-Out von nicht heterosexuellen Menschen, Diskriminierung oder mit einer schmerzhaften oft scheiternden Liebesbeziehung auseinander. Aber auch natürlich mit viel Versöhnung, vielen Gesprächen über Toleranz und einem Spiel mit den Klischees, die sich teils bewahrheiten aber auch nicht. Auf jeden Fall alles wichtige Themen, die es auch zu behandeln gilt und Personen deren Geschichte es sich lohnt zu erzählen.
Ich frage mich bei dem ganzen jedoch: Ist meine Lebensrealität tatsächlich nicht mehr als ein einzig großes Outing und die Folgen von erlebter Diskriminierung? Filmen wie Call Me by Your Name, Brokeback Mountain, Moonlight, The Half of It, Beach Rats oder La vie d’Adèle zufolge schon. Alles gute Filme, jedoch nicht gut hinsichtlich des Ausgangs der Liebe zwischen zwei Frauen oder zwischen zwei Männern. Natürlich gibt es auch viele Gegenbeispiele, dennoch ist eine überwiegende Tendenz wie zuvor beschrieben festzustellen.
Bitte mehr Lesben als Tatort-Kommissarinnen
Um ein Stück Normalität in der Darstellung von queeren Menschen zu erlangen, ist es wichtig, in den dargestellten Geschichten von queeren Personen Homosexualität als etwas normales und akzeptiertes in der Gesellschaft darzustellen. Dieser Prämisse haben sich zu Jahresbeginn unter dem Hashtag #actout 185 deutsche Schauspieler*innen gewidmet und sich öffentlich als lesbisch, schwul oder bisexuell geoutet.
Sie stellen sich die Frage: Wie wäre es, wenn eine Tatort-Kommissarin abends nach Hause kommt, ihre Frau mit einem Kuss begrüßt, mit ihr zu Abend isst und danach schlafen geht.
Dieses Stück Normalität fehlt in der Darstellung von queeren Beziehungen im deutschen Film und Fernsehen. Da machen es einige Netflix Serien wie Snowpiercer, Big Mouth oder The Umbrella Academy schon besser. Sie setzen sich einerseits mit der Diskriminierung oder Coming Outs aber auch einfach einer normalen Liebesgeschichte auseinander.
Progressives Schubladendenken
Mir stellen sich noch einige Fragen: Brauche ich mich denn noch zu outen? Muss ich dieses klassische Schubladendenken in Form von Labels denn noch weiter unterstützen? Ist es denn progressiv, dass sich unser Bild von Sexualität einfach durch immer mehr Bezeichnungen für Sexualitäten erweitert und wir unser Schubladendenken damit immer weiter füttern können? Oder wären wir ganz ohne vielleicht doch besser dran?
Diese Fragen muss jede Person wohl für sich selbst beantworten, denn eine allgemein gültige Antwort gibt es zum Glück nicht. Ziel sollte es ja sein, dass keiner Person mehr etwas hinsichtlich ihrer Sexualität und dem Umgang mit ihr vorgeschrieben wird.
Also nein, ich brauche mich nicht mit einem bestimmten Label zu outen, wenn ich nicht möchte und dies bin ich soweit auch keiner Person wirklich schuldig. Und dies muss letztendlich auch allen klar werden. Wir müssen der (Alltags-)Homophobie Einhalt gebieten und das fängt schon beim Kontern von Aussagen wie No Homo an. Wie wäre es denn, beim nächsten Kompliment dem anderen Geschlecht gegenüber einfach umgekehrt ein No Hetero beizufügen, wenn keine sexuellen Absichten impliziert sind?