„Ihr seid nicht alleine mit dem, wovor ihr Angst habt!“

Simon Bethge ist ein 19 Jahre alter Autor und laut eigener Aussage Glaswasserflaschenästhetiker, Kastanienfetischist, Postkartenkleber, Ringträger und Imanzuggutausseher. FREIHAFEN sprach mit ihm über das Schreiben als junger Schriftsteller, Literaturwettbewerbe, die Großstadt und die Liebe.

Ein Tipp, bevor ihr zu lesen anfangt: Hört euch Simons Kurzgeschichte  „schwarmgelächter“ an und ladet euch so bald wie möglich runter! 

FREIHAFEN: Worin liegt die Ästhetik der Glaswasserflasche? 

Simon: Es müssen nicht nur Glaswasserflaschen sein. Ich habe sehr viele Glasflaschen gesammelt, unter anderem von Tankstellen-Rosé-Wein, Milch – es gab eine wirkliche Glasmilchflasche. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich die gesehen habe und musste sie unbedingt aufbewahren.

FREIHAFEN: Entdeckt das der Blick des Schriftstellers?

Simon: Nicht unbedingt. Viele Schriftsteller können die Ästhetik von Glasflaschen erkennen, aber nicht jeder, der die Ästhetik von Glasflaschen erkennt, muss unbedingt Schriftsteller sein.

FREIHAFEN: An dir hängt das Etikett des jungen Autors. Wärst du lieber ein alter?

Simon: Das kommt irgendwann. Ich bin noch in zwei Hinsichten jung: Einerseits, weil ich erst vor kurzem angefangen habe zu schreiben, anderseits, weil ich eben auch erst 19 Jahre zähle.

FREIHAFEN: Musstest du dich bewusst dafür entscheiden zu schreiben?

Simon: In den Anfängen bestimmt nicht. Nicht für das, was man so mit sechs, sieben, acht, neun, zehn versucht, das hat ja jeder irgendwo in seiner Schublade liegen. Aber orientiert schreiben, ein Medium zu suchen, in dem man etwas ausdrücken möchte, das kam erst durch den Einfluss meiner damaligen Freundin. Die hat das sehr stark mit geprägt.

FREIHAFEN: Hat sie dich auch entdeckt?

Simon: Ich habe mich durch sie entdeckt! Wir lernten uns kennen im Literaturlabor Wolfenbüttel, ein Stipendium. Von Anfang an war ich beeindruckt von dieser Bandbreite an Lyrik und Prosa, die sie produzieren konnte, in was für einem Umfang und dass sie damit auch noch erfolgreich war. Sie hat unzählige Preise, Stipendien oder Workshops gewonnen. Das hat auf mich so einen Eindruck gemacht, dass ich, wenn ich ehrlich bin, auch Versatzstücke ihres Schreibstils in meinen eigenen hab einfließen lassen, vielleicht auch kopiert habe. Das war zu dem Zeitpunkt mein Hauptanliegen: erfolgreich zu sein und das auf eine große Bühne zu bringen.

FREIHAFEN: Wie wichtig ist dir denn der Erfolg?

Simon: Damals sehr. Ich fühle mich durchaus geschmeichelt, wenn das, was ich schreibe, erkannt oder anerkannt wird. Aber es ist erstaunlicher Weise in den Hintergrund gerückt. Es gibt andere Dinge, vor allem private Sachen, die jetzt wichtiger sind.

FREIHAFEN: Wie stehst zu erfolgreichen Jugendbuchautoren wie zum Beispiel John Green?

Simon: Ich habe ein Buch von ihm gelesen, „Eine wie Alaska“. Das habe ich auf einem Achtstunden-Flug nach Vietnam durchgepowert. Ich war am Ende in Tränen aufgelöst, weil es zur unglücklichen Liebe, die man mit 17 Jahren erfährt, durchaus gepasst hat.

FREIHAFEN: Ich frage mich bei solchen Jugendbuchautoren immer: Sind sie die richtigen Sender? Sind sie nicht schon zu alt, um einen Zugang zu jugendlichen Themen zu haben?

Simon: Ich würde nicht sagen, dass es unbedingt eine Frage des Alters ist, ob man die jungen Leser erreichen kann. Nicht, wenn der erwachsene Mensch es sich erhalten konnte, in der Gefühlswelt seines Leserpublikums haften zu bleiben. Wenn junge Leute Texte von älteren Menschen lesen, die in den Lebensjahren verortet sein wollen, in denen sich diese jungen Leser gerade befinden, kann das aber auch in Bevormundungen abdriften. Fühlt sich der Leser auf Augenhöhe mit dem Autor, sei es jetzt, dass er ihm wirklich gegenüber steht, oder dass er seine Texte liest, dann hilft das sehr.

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FREIHAFEN traf den 19-jährigen Autor zum Interview in Eimsbüttel.

FREIHAFEN: Schreibst du Coming-of-Age-Prosa?

Simon: Ich glaube in einer akuten Situation hab ich das tatsächlich so gesagt, weil ich mich auf etwas festlegen musste. Später habe ich es nochmal Revue passieren lassen und festgestellt: das stimmt eigentlich gar nicht. Auch weil ich mir nicht sicher bin, was alles unter diesen Begriff fällt. Wenn man es vom Bedeutungsursprung her sieht, war es Literatur, die ich geschrieben habe als ich gerade auf dem Weg zur Volljährigkeit war. Aber wenn man den Begriff Coming-of-Age Prosa weiter fasst, und diesen ganzen Selbstfindungsprozess mit einbezieht, dann könnte ich mich darauf reduzieren lassen, mit ein paar Einschnitten.

„Ich komm’ mir manchmal wie ein Ewiggestriger vor“

FREIHAFEN: Verortest du das, was du schreibst, in der Gegenwart? 

Simon: Ich glaube meine Texte, wenn sie für sich stehen, haben einen ziemlich omnipotenten Zeitanspruch. Denn es gibt Dinge, die jede Generation wieder neu für sich erfahren muss, die immer wiederholt werden. Deswegen sind das Themen, die außerhalb der Zeit stehen.

FREIHAFEN: Wie sehr interessierst du dich für unsere Generation?

Simon: Ich komm’ mir manchmal wie ein Ewiggestriger vor, wenn es Geschichten gibt, die ich höre oder lese, wo ich einfach nur den Kopf schütteln kann. Diese digitalen Verstrickungen, die dann psychosoziale Diskrepanzen auslösen. Ich weiß nicht. Das geht an mir vorbei, weil es mich tatsächlich nicht interessiert.

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Der gebürtige Hamburger studiert seit dem Wintersemester 2014 Kulturwissenschaften in Lüneburg.

FREIHAFEN: Gibt es ein Destillat aus deinen Geschichten, etwas, das dir ein Anliegen ist, mitzuteilen? 

Simon: Das wär etwas nach dem Motto: Ihr seid nicht alleine mit dem, wovor ihr Angst habt! Viele große Autoren haben geschrieben, weil sie sich zwar von der Welt missverstanden und ausgegrenzt gefühlt haben, sich aber immer noch als Teil derselben begriffen.

„Das Publikum erreichen kannst du nur, wenn du deine eigenen vier Wände verlässt“

FREIHAFEN: Ungefähr zu Studienbeginn – also im September 2014 – haben du und einige Freunde von dir die Lesereihe fleet:poet in Lüneburg gestartet, mit der ihr gerade in die Mondbasis umgezogen seid. Wie kam es zu der Idee?

Simon: Da kommt auch wieder meine damalige Freundin ins Spiel. Es war eine Fernbeziehung nach Bonn. Dieses Mädchen studiert dort glaube ich immer noch Komparatistik und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Sie hat manchmal in dem Kölner „fang-magazin“ für Literatur veröffentlicht, das irgendwann eingestampft wurde. Daraus entstand die Kölner Lesereihe „Land in Sicht“. Da ich auf deren Gründungstreffen war — und zwar absolut Feuer und Flamme für die Idee — aber lokal abgeschnitten, konnte ich dort nicht mitmachen und hab mir dann kurzerhand überlegt etwas Ähnliches hier im Norden zu starten.

FREIHAFEN: Warum sollten sich Junge Autoren von ihren Schreibtischen losreißen und ihre Texte preisgeben?

Simon: Es ist eigentlich egal, wo du die Texte preisgibst, ob es in Veröffentlichungen in Magazinen sind oder auf Lesungen, das Publikum erreichen kannst du nur, wenn du deine eigenen vier Wände verlässt.

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Simon wurde u.a. nominiert beim THEO – dem Berlin-Brandenburgischen Preis für junge Literatur, wurde beim Lyrikwettbewerb des Heinrich-Heine-Institut ausgezeichnet und letztes Jahr mit seinen Texten ausgewählt und zum Treffen junger Autoren nach Berlin eingeladen.

FREIHAFEN: Es gibt mittlerweile zahlreiche Literaturwettbewerbe für junge Menschen in Deutschland. Was bewegt dich, bei solchen Veranstaltungen mitzumachen?

Simon: Auf jeden Fall ein gesundes Maß an Exhibitionismus. In jedem Menschen, den du auf der Straße triffst, steckt irgendwo ein Voyeur, physisch oder psychisch. Vielleicht reizt es mich diesen Drang zu befriedigen. Meinen eigenen und den des Publikums.

FREIHAFEN: Tut der Wettstreit der Entwicklung eines jungen Künstlers gut? 

Simon: Wenn du den Wettstreit als solchen akzeptierst und dich ihm nicht unterordnest, dann denke ich schon, dass ein gesunder Wettbewerb das Individuum voranbringt. Wie in der Wirtschaft, und nichts anderes ist ja der Literaturbetrieb.

„Es gab eine Zeit, da habe ich alles, was ich geschrieben habe, für pures Gold gehalten. Auch die Scheiße.“

FREIHAFEN: Was für einen Eindruck hast du letztes Jahr beim Treffen junger Autoren in Berlin gewinnen können? Von den anderen Teilnehmern, ihren Geschichten, von ihren Themen, von ihrer Schreibe?

Simon: Es gab zwei, drei, die waren unwahrscheinlich politisch. Vielleicht lese ich dafür die falschen Bücher der falschen Menschen, aber ich vermisse in unserer jungen Schriftstellergeneration teilweise den politischen Anspruch. Es ist sehr schwer den Pfad zu gehen zwischen aufdringlichem, politischem Schreiben, das sich verselbstständigt oder zu sehr irgendeiner politischen Richtung dient, und zwischen der Literatur als reiner Unterhaltungskunst, die die Menschen, die Zuhörer, das Publikum, davon ablenkt, dass gerade eigentlich Weltuntergang auf allen Kanälen läuft.

FREIHAFEN: Wie gehst du mit der Beurteilung deiner Texte um?

Simon: Es gab eine Zeit, da habe ich alles, was ich geschrieben habe, für pures Gold gehalten. Auch die Scheiße. Ich habe viel unüberarbeitet eingeschickt. Natürlich musste ich dann auch mit der Konsequenz leben, dass meine Texte nicht genommen wurden, oder dass sie nicht gut genug waren. Aber inzwischen habe ich gelernt, mir Kritik tatsächlich zu Herzen zu nehmen. Wenn man sich darauf einlässt und nicht mehr denkt, dass die Kritik der Versuch der anderen ist, über den eigenen Text zu bestimmen, dann kann man Wesentliches daraus ziehen. Es hat lange gebraucht, bis ich diese Starrköpfigkeit verloren habe.

„Idole als Steigerungsform haben immer etwas subjektiv Unmenschliches“

FREIHAFEN: Welche Inspiration ziehst du demgegenüber aus Romanen insbesondere von Scott Fitzgerald?

Simon: Die Texte, die ich von Fremdautoren lese, sind autarke Werke, in die man erstmal Eingang finden muss. Von Fitzgerald zum Beispiel habe ich diese überbordende Fülle von blumigen Beschreibungen für Menschen, für Umstände gelernt, diese kaleidoskopische Wortgewalt. Die vermisse ich bei anderen Autoren nicht unbedingt, weil das eben nicht ihr Stil ist, aber sie hat mich bei ihm besonders beeindruckt. Die direkte Kritik hingegen gibt mir die Idee, dass man Dinge anders machen kann, aber sie zeigt mir nicht unbedingt wie ich sie anders machen kann. Vielleicht auf Formalia bezogen, aber nicht unbedingt auf Worterfindungen, auf den Sprachschatz. Eben diese passiven Eindrücke durch Bücher, die man liest, geben einem viel mehr, weil man da das findet, was man gesucht hat, was man selbst in seinen Texten vermisst. Denn diese fremden Texte können nicht mehr sprechen, sie können dir kein Contra mehr geben.

FREIHAFEN: Konzentriert sich der Einfluss von ihm nur auf dein literarisches Schaffen oder färbt er auch in anderer Hinsicht auf dein Leben ab?

Simon: Ich habe erst nachdem ich festgestellt habe, wie gut mir Gin schmeckt, bemerkt, dass auch er dem Gin sehr zugeneigt war. Ansonsten lass mich jetzt nicht Fitzgerald sein! Diese gediegene Mode der Zeit spricht mich sehr an, ich hab mir auch letzten Sommer einen Strohhut gekauft, so eine Kreissäge von Stetson, da bin ich sehr stolz drauf. Je mehr ich auch über die Person Fitzgerald erfahre, so menschlicher wird er, desto weniger stand er auf einem Podest  in meinem Kopf und desto mehr Abgründe öffnen sich, die ich nicht unbedingt teilen möchte. Sicher war er mal ein Vorbild. Aber mittlerweile ist er ziemlich auf Augenhöhe. Natürlich sehe ich in meiner esoterisch angehauchten Kopfwelt noch immer irgendwo eine Verbindung, weil er exakt 100 Jahre und einen Tag vor mir geboren wurde, aber das kann auch nur Zufall sein.

FREIHAFEN: Ist ein Vorbild denn immer mit einem Höhenunterschied verbunden? 

Simon: Vorbilder und Idole als Steigerungsform haben immer etwas subjektiv Unmenschliches oder Übermenschliches. Auf Dauer ist es sehr ungesund, diese Menschen so hochzuhalten, weil sie für sich selbst nicht zugeben würden, dass sie es verdient hätten und, weil man mit der Zeit merkt, dass sie es tatsächlich nicht verdient haben. Sei es jetzt ein Prozess, indem die Begeisterung immer mehr abflaut oder krasse Einschnitte, Ereignisse, wo man merkt, das ist genau so ein Mensch, wie du und ich.

„Geboren, aufgewachsen und letztendlich auf den Beton gekotzt“  

FREIHAFEN: Lass uns zu deinem schriftstellerischen Tun kommen. Du wurdest nach Berlin eingeladen mit deinen beiden Kurzgeschichten „schwarmgelächter“ und „so bald wie möglich“. Wer ist Maya?

Simon: Jeder ist Maya. Viele Menschen haben im Leben eine Person, die sie unglaublich begehren, die sie aber aus Selbstschutz oder Fremdschutz auf Abstand hält. Ein menschliches Mysterium, an das wir nie wirklich rankommen können.

FREIHAFEN: Was ist Schwarmgelächter?

Simon: Schwarmgelächter bezieht sich eigentlich auf die Passage im Text, in der die Nachtmöwen wissend auf die beiden herab lachen. Natürlich könnte man das jetzt weiter fassen und denken der Schwarm sei die Clique, das Umfeld, das eigentlich darüber lachen würde, welchen Illusionen sich das Ich und Maya hingeben.

FREIHAFEN: Es gibt in dem Text diese rätselhafte Stelle: „immer schneller kommt die große stadt in bewegung, maya und mir fällt es immer schwerer, das dazwischen zu entschleunigen.“ Was ist das Dazwischen?

Simon: Wenn man die Eckpfeiler des modernen Menschen zwischen Geld, Arbeit, Zeit und Ich stellt und der Mensch der Schnittpunkt der vier Linien ist, das Zentrum der Eckpfeiler, dann ist das Dazwischen das, was übrig bleibt, wenn alle anderen Faktoren soviel Gewalt über dein Leben haben, dass das es gar nicht mehr existent ist oder sich in so einem rasenden Tempo bewegt, bewegen muss, dass man nicht mehr zurückschalten kann.

FREIHAFEN: Du schreibst von verlassenen Baukränen, der Straßenlaterne, dem Hafen, den Lagehallen, der großen Stadt in Bewegung. Bist du ein der Großstadtkind?

Simon: Geboren, aufgewachsen und letztendlich auf den Beton gekotzt und nicht auf den Waldboden.

„Es gibt sehr viele Leute, die in die Idee verliebt sind, verliebt zu sein.

FREIHAFEN: Man ertappt sich beim Lesen deiner Texte dabei, dass man automatisch einen männlichem Erzähler annimmt. Aber damit geht man fehl, auf jeden Fall in „Schwarmgelächter“. Am Ende wird die Erzählerin mit Eva angesprochen. 

Simon: Nun, ich hätte genau so gut Maya als Tom beschreiben können und damit enden, dass er sagt: „Gute Nacht Alex und bis Morgen!“. Es reizt mich weniger die Idee mich selbst in ein anderes Geschlecht zu denken, auch nicht die Idee eine gleichgeschlechtliche Beziehung darzustellen, sondern den Leser vor den Kopf zu stoßen.  Ihn am Anfang in die Irre zu führen und ihm dann zu zeigen, dass es komplett anders ist und dass man sich nicht darauf verlassen sollte, was man liest. Wenn ich mich jetzt mit einem so großen Mann wie Magritte vergleichen müsste, geht das an seine „La trahison des images“ ran, dass die Pfeife keine Pfeife ist, sondern nur das Abbild von einer Pfeife.

FREIHAFEN: Ist Liebe das Höchste?

Simon: Auf keinen Fall, aber vermutlich das Höchste, was wir begreifen können und eigentlich nicht mal das. Es ist nach wie vor ein Mysterium, aber ich schätze es gibt sehr viele Leute, die in die Idee verliebt sind, verliebt zu sein.

FREIHAFEN: Lieben wir zu schnell?

Simon: Wir verlieben uns auf jeden Fall zu schnell.

„Jugend lässt sich nicht lösen in der Jugend.“ 

FREIHAFEN: Lass uns zu deiner anderen Erzählung „so bald wie möglich“ kommen. Auch in ihr geht es um das Verlassenwerden, nur dieses Mal erzählt ein „Ich“, das bereits verlassen wurde von einem „Er“, das unauffindbar ist.

Simon: Das „Er“ ist vaporisiert. Man hat keine Ahnung, wo diese Person abgeblieben ist, was ihre Beweggründe waren dieses Umfeld zu verlassen. Man weiß eigentlich nichts über ihn, außer das, was andere über ihn sagen.

FREIHAFEN: Im letzte Absatz steht: „wenn niemand mehr über ihn spricht’, sage ich und es klingt, als hätte sich ein igel in meinem hals eingenistet, ‚ist er dann gestorben?“ Warum will das Ich ihn auslöschen?

Simon: Dieser Satz bezieht sich auf ein großflächiges Plakat, das ich mal gesehen habe, als ich mit der S-Bahn daran vorbeifuhr. Es ging um die Verantwortung des Journalismus und ich glaube die Frage, die auf diesem Plakat gestellt wurde, lautete ungefähr: Wenn niemand mehr über den Krieg berichtet, ist er dann vorbei? Genau so wie es falsch ist, etwas durch Nicht-Zur-Sprache-Bringen beenden zu wollen, ist es ein Selbstschutzmechanismus, jemanden auslöschen zu wollen.

FREIHAFEN: Die Erzählperson hängt ja sehr stark an dem erinnerten Bild von der Liebe, die sie verlassen hat. Vorproduziert man diese Bilder nicht absichtsvoll oder kommen sie hoch im Moment des Verlassen-Seins? 

Simon: Lass mich kontern mit einem anderen Zitat aus dem Text: „jede erinnerung lässt also mehr verschwinden, als sie wiederbeleben kann.“ Von daher sind es natürlich gewollte Dinge. Ich kann den Prozess des Über-Jemanden-Hinwegkommens oder Nachtrauerns, so oft ich ihn auch gefühlt habe, nicht analytisch aufteilen und ergründen, wie das überhaupt passiert. Es sind Dinge, die du in einer Beziehung aufnimmst, und dann, im exponentiellen Maße, rausholst und wiederkäust. Einfach um dieses Gefühl ein bisschen länger zu behalten, was eigentlich totaler Schwachsinn ist, weil du es dann verlierst.

FREIHAFEN: Meinst du, dieser existentielle Pathos gehört zu den Gefühlwirrungen in dieser Phase des Lebens dazu?

Simon: Wenn nicht jetzt, wann dann?

FREIHAFEN: Ist Jugend Krise?

Simon: Es sind Dinge, Gefühle, Situationen, Geschehnisse, an die du nicht herangeführt wirst, sondern reingeworfen. Es dauert in vielen Fällen sogar ein Leben, bis verarbeitet werden kann, was da passiert ist. Du kannst nicht von jetzt auf gleich begreifen, in was für einem Maße du da der Welt ausgesetzt wurdest. Krise ganz klassisch als Begriff für eine Situation, die sich nicht lösen lässt — Ja, Jugend lässt sich nicht lösen in der Jugend.

FREIHAFEN: Was empfindest du intensiver: die Liebe oder den Liebeskummer?

Simon: Je nachdem, worauf ich mich mehr einlasse.”

FREIHAFEN: Und worauf lässt du dich lieber ein?

Simon: Liebeskummer.

FREIHAFEN: In welcher Umgebung, zu welcher Zeit schreibst du?

Simon: Immer wenn ich die Möglichkeit habe etwas zu Papier zu bringen, Buchstaben aneinanderzureihen und daraus Wörter zu schmieden. Ich bin sehr froh, dass mir meine Freundin letztes Jahr ein Notizbuch geschenkt hat, das ich seitdem immer mit mir rumtrage. So bin ich allzeit gerüstet.

FREIHAFEN: Hast du Rituale? Trinkst du Wein, ziehst du einen durch, trägst du einen rosa Bademantel? 

Simon: Mit Kiffen habe ich sehr schlechte Erfahrung. Wein — wenn es kein guter ist, macht er mich müde. Wahrscheinlich macht mich auch ein guter müde. Ich hab zu wenig Ahnung von Wein, um das beurteilen zu können. Sonstige Rituale leider nicht. Immer, wenn ich mich an den Schreibtisch setze, meinen Laptop aufmache und zu schreiben versuche, halten mich alle möglichen äußeren Umstände davon ab.

„Ich habe mich für nichts zu rechtfertigen, was ich schreibe.“ 

FREIHAFEN: Wie oft verwirfst du denn deine Texte und korrigierst dich? 

Simon: Inzwischen bleibe ich bei den Sätzen hängen, die ich schreibe und streiche sie dann durch oder lösche sie. Ich schreibe nicht erstmal alles auf und schau’ mir dann im Nachhinein an, was ich verändern möchte, sondern bleibe am Satz, am Wort, vielleicht auch an der Zeichensetzung. Sehr unmittelbar.

FREIHAFEN: Empfindest du manchmal Scham vorm eigenen Text? 

Simon: Ich habe mich für nichts zu rechtfertigen, was ich schreibe. Ich schreibe im besten Fall das, was passiert oder passiert ist. Ich versuche es als einen Teil meiner Selbst zu begreifen. Natürlich dauert es lang, bis man sich selbst akzeptiert – auch wenn das eine blöde Floskel ist. Aber ich habe nichts zu verbergen.

FREIHAFEN: Hast du Angst vor der Beliebigkeit, Angst vorm Kitsch, Angst nur Nachahmer zu sein?

Simon: Ja, deshalb versuche ich so viele Neologismen oder neologistische Formulierungen zu erfinden, um mich nicht alter Floskeln zu bedienen und trotzdem das gleiche auf den Punkt zu bringen.

FREIHAFEN: Ich frage auch deshalb, weil ich das Gefühl habe, der junge Autor arbeitet sich fast zwanghaft an ganz bestimmten Themen ab. Es ist immer der Rausch der Nacht oder der Morgen danach, das Vibrieren der Großstadt, immer regnet es, der Zigarettenrauch wabert und die Liebe ist verloren. 

Simon: Wenn man das so auflistet, sind das unglaublich kitschige und althergebrachte Bilder, die nichts Neues darstellen. Aber trotzdem sind das die Dinge, mit denen wir uns alle identifizieren können.

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FREIHAFEN: Du hast mal anlässlich eines Lobes für deine Weblesung von „Schwarmgelächter“ geschrieben: „Das waren noch Zeiten, als ich sowas einfangen konnte.“ Welche Zeiten waren das und was ist aus ihnen geworden? 

Simon: Wenn ich das wüsste, könnte ich sie ja wiederfinden. Es waren Zeiten, in denen mein Schreibprozess noch sehr neu war, in denen alles noch ein ganzes Feld war, das es zu entdecken galt und mit seinen eigenen Formulierungen auszufüllen. Aber ich habe das Gefühl, vieles von dem, was ich jetzt produziere, ist thematisch, aber oft auch in den Handlungen und Wendungen, nur ein Abklatsch von dem, was ich mal geschafft habe. Ich habe keine Ahnung, woran das liegt. Vielleicht am immer gleichen Umfeld, das sich irgendwann erschöpft hat mit den ganzen Eindrücken. Auch wenn das natürlich nicht stimmt. Jemand, der sich selbst rühmt alle möglichen Details sehen zu können, würde immer wieder etwas Neues entdecken. Aber es ist verschwunden. Vermutlich, weil ich mich nicht mehr in diesem Geisteszustand befinde.

FREIHAFEN: Kommen diese Zeiten wieder?

Simon: Das will ich hoffen. Es wäre schade, wenn nicht.

FREIHAFEN: Woran schreibst du gerade?

Simon: Ein Bekannter hat mir die Idee in den Kopf gesetzt, wie es wohl wäre, die Märchengeschichten von 1001 Nacht zu modernisieren. Noch fehlt mir das nötige Feingefühl und Faktenwissen, aber es wäre spannend, sich daran auszuprobieren.

FREIHAFEN: Willst du vom Schreiben leben?

Simon: Wenn es sich ergibt, würde ich es nicht verneinen, aber so lange das nicht der Fall ist, brauche ich es auch nicht. Ich hab immer noch die Hoffnung, dass irgendwo in Ecuador ein kleines, muckeliges Büro im Goethe-Institut auf mich wartet.

Bilder mit freundlicher Genehmigung von © Vivien von Glischinski und © Vivien von
Nick Prahle Verfasst von:

20 Jahre alt, Philosophiestudent in Berlin. Beim FREIHAFEN insbesondere im Bereich Kultur und Debatten tätig.