Lebensziel Kinder – Ein Auslaufmodell ?

„Blessed be the fruit“ sagen die Bewohner Gileads um sich zu begrüßen und zu verabschieden. Margret Atwoods dystopischer Roman beschäftigt sich mit dem Thema, was mit einer Gesellschaft passiert, die kaum noch Kinder zur Welt bringt. Im fiktiven Gilead führt dies zu einer extremen Fokussierung auf die Fruchtbarkeit der Menschen. Die Folgen sind vor allem schwerwiegend für die Frauen, denen jegliche Entscheidungsfreiheit entzogen wird. 

Stirbt auch Deutschland aus?

Doch warum ist das Kinder-Thema so wichtig in unserer Gesellschaft? Jährlich wird vom Statistischen Bundesamt ermittelt wieviele Kinder eine Frau in Deutschland durchschnittlich in ihrem Leben bekommt. Und immer wieder wird angemerkt, dass die Zahl seit den 1960er Jahren abnimmt. Bei 1,58 Kinder lag die Geburtenrate in Deutschland im Jahr 2018. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung müsste die Zahl bei 2,1 liegen, damit die Reproduktion unserer Gesellschaft sichergestellt ist. Offensichtlich ist das gerade schon nicht der Fall. Welche negativen Folgen das für unsere Gesellschaft hat, ist bereits daran ersichtlich, dass der Generationenvertrag nicht mehr aufgeht. Deutschland wird durchschnittlich immer älter und das strapaziert unser Sozialversicherungssystem. 

Mein Kind. Mein Stolz. Meine Altersvorsorge!

Das Problem mit dem Generationenvertrag ist aber nicht ganz neu. Schon vor 20 Jahren warb eine Bank im Deutschen Fernsehen mit dem Baby, welches seinem Papa den Vogel zeigt bei der Idee seine Altersvorsorge zu sein. Mit welcher Motivation bekommen wir denn Kinder? Weil Babys so süß sind und wir kindliche bedingungslose Liebe erwarten? Weil es gesellschaftlich so erwartet wird? Weil wir unsere unerfüllten Lebenswünsche von unseren Kindern ausleben lassen wollen?

Letztendlich ist der Wunsch nach Fortpflanzung und damit der Erhalt der eigenen Art auch etwas, das in unseren Genen angelegt ist. Leider gibt es keine genauen Forschungen oder Statistiken zu dem Thema. Diese beschränken sich häufiger auf die Gründe der deutschen Kinderlosigkeit. Eine nicht vorhandene Partnerschaft kann ein Problem darstellen. Ebenso Sorgen, dass mit einer wachsenden Familie auch die Geldnöte wachsen, oder ein Karriereknick droht. Wenn man sich aus der persönlichen Ebene heraus bewegt und die Lage global betrachtet gibt es noch andere Gründe, die gegen Nachwuchs sprechen. 

Think Global, Act Local? 

Die Erde wird schon jetzt von nahezu 8 Milliarden Menschen ihr Zuhause genannt. Jedes Jahr verbrauchen wir die Ressourcen, welche für 12 Monate reichen sollten, weit vor Ende Dezember. Der sogenannte Earth Overshoot Day befand sich 2020 bereits am 22. August. Den Rest des Jahres leben wir auf Kosten der zukünftigen Generationen. Jeder Mensch, der auf unserem Planeten geboren wird, verbraucht Ressourcen wie Wasser und produziert CO2

„Meine Kinder sollen es mal besser haben als ich“ ist eine gern geäußerte Prämisse, unter der Eltern ihre Kinder großziehen. Erst mal fair und berechtigt, dass Eltern nur das Beste für ihre Kindern wollen. Aber gibt es denn noch eine Steigerung zu unserer aktuellen Situation? Abgesehen von der Pandemie, sieht die Zukunft unserer Welt in einigen Themen nicht so rosig aus. Allen voran der stetige Klimawandel, welcher früher oder später seine Auswirkungen auch in Mitteleuropa zeigen wird. Die Europäische Kommission fasst zusammen, dass die Folgen extremere Wetterphänomene sein werden, insbesondere mehr Überschwemmungen und längere Hitzeperioden. Für die Landwirtschaft, die Tourismusbranche und an unserer Infrastruktur werden erhebliche Schäden entstehen. Wenn von der kommenden Generation erwartet werden darf, dass sie für die vorherige im Alter aufkommen soll, dann dürfen diese jungen Menschen auch erwarten, dass sie überhaupt Chancen und eine Zukunft auf dieser Welt haben. 

In den letzten Jahren haben sich deshalb verschieden Bewegungen gebildet, deren Mitglieder dafür sind, weniger oder gar keine Kinder zu bekommen. The Voluntary Human Extinction Movement (VHEMT) ist gänzlich gegen Fortpflanzung. Nur wenn die Menschen sich in ihrer Anzahl drastisch verringern, oder komplett aussterben sehen sie Zukunft für unsere Erde. Auf der VHEMT Website können sich Anhänger*innen der Bewegung virtuelle Orden herunterladen, wenn sie sich für eine langfristige Verhütungsmethode wie eine Sterilisation entschieden haben. In den FAQs der Seite wird auch die Frage beantwortet, ob dies ein Scherz sei. Das offizielle Statement dazu stellt die Gegenfrage, ob aussterbende Tierarten und zehntausende sterbende Kinder pro Tag, verursacht durch Überbevölkerung ein Scherz seien. Wem diese Sichtweise in zu drastischen Schilderungen dargestellt wird, ist bei Population Matters vielleicht besser aufgehoben. Die britische Organisation hat berühmte Mitglieder wie die Ethnologin Jane Goodall. Der Fokus liegt bei Population Matters weniger auf dem Aussterben, sondern eher auf der Planung kleinerer Familien und insbesondere der Entscheidungsfreiheit der Frau. Das Argument bleibt aber das gleiche: Wir sind zu viele Menschen und bringen die Erde an die Grenzen ihrer Ressourcen. 

Die Romantik bleibt auf der Strecke

Und was passiert nun mit unserer Gesellschaft, wenn wir auf Nachwuchs verzichten? Zu wenig Kinder sind für die sozialwirtschaftliche Situation in Deutschland nicht förderlich. Im Gegensatz dazu bedeuten immer mehr Menschen auch immer mehr Belastung für unsere Umwelt. Aus wirtschaftlichen Gründen FÜR das Kinderkriegen zu sein ist recht unromantisch gedacht, genau so wie aus Umweltgründen GEGEN Nachwuchs zu argumentieren. 

Die Bemühungen der Politik gehen weiterhin in die Richtung „Familien stärken“. Maßnahmen wie mehr Kinder-, Eltern- und Betreuungsgeld oder gesicherte Kitaplätze sollen junge Menschen bei der Familiengründung unterstützen. Funktionieren kann das natürlich nur, wenn auch ein Kinderwunsch da ist. Für den gibt es kein Richtig und kein Falsch, sondern es bleibt eine persönliche Entscheidung. Glücklicherweise befinden wir uns nicht in Atwood‘s Gilead und wer aus welchen Gründen auch immer, keine Kinder möchte, schont damit jedenfalls noch die Umwelt.

Bild mit freundlicher Genehmigung von David Reineke
Linn Könnecke Written by: