Kontrollierter Verzicht

Heute, am 6. Juni, beginnt für viele Muslime weltweit der Fastenmonat Ramadan. Was für den Großteil der Deutschen bis vor einigen Jahren völlig unbekannt war, hat heute aufgrund des großen Anteils muslimischer Mitbürger seinen Platz in dieser Gesellschaft. Doch wer jetzt denkt, dass das Fasten ein rein islamischer Ritus ist, der irrt. Auch in Deutschland besteht eine lange Fastentradition – allerdings in einer anderen Jahreszeit.

Jedes Jahr zum Ende der Faschingszeit, am Aschermittwoch, beginnen viele Menschen zu fasten. Unter Fasten verstehen die meisten den bloßen Verzicht: Verzicht auf Zucker, Verzicht auf Alkohol, Verzicht auf Zigaretten oder das Smartphone – es gibt viele Möglichkeiten, sich von etwas zu trennen, was einem vermeintlich nicht gut tut. Aber auf Essen verzichten?

Vorurteile

Dank der unermüdlichen Aufklärungsarbeit des Gesundheitsressorts der SpiegelOnline-Redaktion in zwei erhellenden Artikeln (Jens Lubbadeh: Heilfasten: Die grotesken Erwartungen ans Entschlacken und Wir machen uns mal frei: Friede, Freude, Fastenkur) werden Interessierte, wenn sie nur den Begriff „Heilfasten“ in die Google-Suchleiste tippen, sofort auf den aktuellen Stand gebracht. Heilfasten schön und gut, aber bitte keinen „Firlefanz“ mit „Blümchentees“ veranstalten und die Leute, die „Abführ-Folklore“ betreiben, so liest man es zwischen den Zeilen, haben es offenbar auch nicht ganz verstanden. Schade eigentlich, denn der Autor selbst fastet laut seiner eigenen Beschreibung auch regelmäßig, allerdings nicht die blümchentee-durchtränkte Hardliner-Variante, sondern eine mit Brühe, Saft und gelegentlicher Buttermilch. Letztere fällt eigentlich aufgrund ihrer durchschlagenden Wirkung unter den Abführ-Folklore-Firlefanz (wenn ich mich dieser Begriffe bemächtigen darf), aber sei’s drum.

Tatsächlich ist der Punkt der kontrollierten Darmentleerung einer, der die meisten Menschen vor einer Heilfastenkur zurückschrecken lässt. Das das, was dabei passiert, deutlich entspannter ist als manches, was tagtäglich hinter verschlossenen Toilettentüren passiert, dafür haben die meisten kein Verständnis. Zu groß ist offenbar die Angst vor dem eigenen Körper, und was der alles so treiben könnte, bringt man ihn aus seinem üblichen Alltagsablauf.

Ein etwas anderer Ansatz

Dabei wäre es sinnvoll, Heilfasten aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Heilfasten sollte kein Schlankhungern sein, kein innerlicher Frühjahrsputz, keine kulturell auferlegte Selbstkasteiung. Für eine Erklärung muss an dieser Stelle die vielfach bemühte etymologische Keule her.

Unser heutiger, christlich orientierter, Fastenbegriff ist eine Substantivierung des mittelhochdeutschen vastan, was seinerseits bis auf das Gotische zurückzuführen ist. Fastan – das gotische Wörterbuch verrät uns hierzu die Semantik halten, festhalten, beobachten, bewachen. Eine Fastenkur als Festhalten? Aber an was – wird doch in den meisten Fastenratgebern gerade das Bild des Loslassens gezeichnet. Die Verbindung wird in christlichen Kreisen zum Festhalten am Fastengebot, an der Abstinenz, gesehen. Zumindest was die Wortherkunft betrifft, ist das eine heiße Spur, dennoch liegt im Festhalten und Bewachen ein tieferer Sinn. Die Fastenkur als Innehalten, als ein Festhalten am Vertrauen zum eigenen Körper und ein Bewachen der eigenen Gesundheit – bei allen unliebsamen Kilos sollte das doch die Hauptmotivation für eine Fastenkur sein.

Was darf denn während solch einer Fastenkur nun gegessen werden? Im Mittelalter war es eine vegane Ernährung, die in vorösterlicher Zeit und allen Freitagen des Kirchenjahres einzuhalten war. Im 15. Jahrhundert dann allgemeine Erleichterung: Butter, Eier, Käse und Milch wurden erlaubt. Heute haben sich die Regeln trotz katholischem Fastengebot für alle Katholiken von 14 bis 60 gelockert. Kaum werden noch die vorgeschriebenen 40 Tage am Stück gefastet und dann auch eher selten nach dem Grundsatz in Matthäus 4,4: „Und er antwortete und sprach: Es steht geschrieben: “Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.” Die Zeitspanne der 40 Tage von Aschermittwoch bis Ostern bleibt – ebenso wie der Begriff der Fastnacht … ahh, noch nie drüber nachgedacht, oder?

Im Ramadan wird übrigens nur tagsüber gefastet, vor und nach Sonnenuntergang darf das Fasten gebrochen werden. Neben fester Nahrung verzichten Muslime tagsüber auch auf Getränke aller Art, Zigaretten und den Beischlaf. Doch auch der Koran empfiehlt, beim Fastenbrechen nicht zu übertreiben und eher leichte Kost zu sich zu nehmen.

Es gibt nicht nur eine Art, zu fasten

Neben Fastenkuren nach Buchinger (Saft und Brühe), F.X.-Mayer-Kur (Brühe, Milch und alte Brötchen), Schrothkur (Abwechslung von Trink- und Trockentagen mit rein pflanzlicher Ernährung), Hildegard-von-Bingen-Kur (Fencheltee, gedünstete Äpfel und Brühe), Molkekur und Früchtefasten gibt es noch das reine Heilfasten, oder auch Teefasten genannt. Hierbei wird nichts außer Wasser und Tee zu sich genommen. Diese vergleichsweise extreme Fastenform wird nur völlig gesunden Menschen empfohlen, da die Kalorienaufnahme komplett reduziert wird – der Körper lebt allein aus sich selbst heraus. Einer solchen gravierenden Umstellung muss natürlich eine Einstimmung vorausgehen. Je nach Ratgeber werden zwei bis sieben Tage Entlastungszeit vor der Kur empfohlen. Während dieser Zeit soll nicht nur die Ernährung auf leicht verdauliche, im besten Fall pflanzliche Kost umgestellt werden, sondern auch auf Kaffee, Alkohol, Nikotin und starke Medikamente verzichtet werden. Auch nach der Kur sollte man sich nicht gleich auf das erstbeste Buffet stürzen, sondern etwa die Hälfte der gefasteten Zeit in sogenannte Aufbautage mit leicht verdaulicher, salzarmer Ernährung investieren.

Tatsächlich würde das nicht nur in fürchterliche Bauchschmerzen, sondern im dümmsten Fall im Krankenhaus enden. Ein Auto tritt man ja auch nicht von 0 auf 100 im Vollgas, man schaltet Gang für Gang hoch.

Teefasten für Anfänger – meine Erfahrungen

Wie läuft so ein Teefasten nun ab? Hier ist es wie bei so vielen Dingen: für jeden ist es anders und für jedes Mal ist es anders. Meine Mutter, die schon jahrelang fastet, erlebt jedes Jahr aufs Neue eine Überraschung. Ich kann bisher nur auf meine geringe Erfahrung mit zwei Fastenkuren zurückblicken, möchte euch diese aber nicht vorenthalten. Um einen kurzen Überblick über den Ablauf zu geben, beschreibe ich am besten die letzte Fastenkur, die ich im vergangenen März bestritten habe. Dieses Jahr habe ich ganze acht Tage auf feste Nahrung verzichtet.

Vor dem Fastenbeginn übte ich erst mal eine Woche lang Verzicht auf Süßkram, tierische Produkte, kohlehydratreiche Lebensmittel und Kaffee – das war schon schwer genug. Dann folgte der erste Tag mit viel Tee, ohne feste Nahrung. Eines der interessanten Dinge an einer Fastenkur ist das Wechselbad der Gefühle mitzuerleben, und wie stark dieses an das körperliche Empfinden gekoppelt ist. Am ersten Tag war ich voll motiviert: ich fühlte mich gut darin, endlich etwas für meinen Körper zu tun. Der Tee war super, die frische Luft bei den Spaziergängen tat gut – angebotenes Essen ignorierte ich mit dem Großmut, dass ich ja nun fasten würde. Der zweite Tag war dann nicht mehr so angenehm. Hungergefühle machten sich schon beim Aufstehen breit. Ablenkung verschafften da die langen Wanderungen und Spaziergänge. Dennoch blieb die Fokussierung auf Nahrung bis zum dritten Tag, dann wurde es langsam besser. Tatsächlich ist dies nicht ein Hungern, wie man es kennt, sondern die Spanne reicht vom entspannten Gedanken an Essen bis zum fanatischen Durchblättern von Kochbüchern – that’s why they call it Food Porn.

Ab dem vierten Tag hat der Organismus meist umgeschaltet: werden die Muskeln regelmäßig durch Bewegung aktiviert, lebt man aus den Fettreserven. Besonders der anfängliche Verlust von Wasser schlägt sich auf der Waage nieder: man verliert fast ein Kilo am Tag – nach der Fastenkur kommen jedoch rund vier Kilo Wassereinlagerungen wieder drauf, deshalb sollte man sich nicht zu früh freuen.

Ansonsten wächst mit der Anzahl der Fastentage auch der Hass auf Tee – rund drei Liter sollen am Tag getrunken werden, und trotz einer reichen Auswahl an Kräutertees wie Brennessel, Zitrose, Malve, Hagebutte, Stiefmütterchen, grüner Hafer, etc. einigten sich meine Mutter und ich stillschweigend auf Kamillentee, der durch seinen unaufdringlichen Eigengeschmack die allgemeine Übelkeit ein bisschen besänftigte.

Fasten ist kein Ponyhof

Doch damit nicht genug – Fasten geht an die Substanz, und das spürt man mit jedem Nerv. Gliederschmerzen, Magenkrämpfe und Kreislaufprobleme sind nur ein paar der Zipperlein, die einem begegnen können, dazu kommen Entgiftungssymptome wie unangenehmer Körpergeruch, Belag auf Zähnen und Zunge, Hautunreinheiten und Schüttelfrost. Deshalb ist Körperhygiene unterm Fasten besonders wichtig – nicht nur der Umwelt zuliebe. Auch spürt man die Entgiftung nicht nur körperlich, sondern auch innerlich: Alpträume stören nachts den Schlaf und lassen sich, gepaart mit Herzrasen, manchmal nur durch eine Wärmflasche auf dem Bauch oder einen kleinen Löffel Honig vertreiben.

Wenn endlich der Tag des Fastenbrechens gekommen ist, fühlt man sich beinahe ein bisschen schlecht. Traditionell bricht man das Fasten mit einem kleinen Apfel, ich ziehe lieber den Teller Gemüsesuppe am Abend vor, da man danach gut schlafen kann und einem so nicht ein Tag voller neu aufgeflammter Hungergefühle bevorsteht. Man kann im Übrigen kaum beschreiben, wie intensiv alles nach einer Woche Nahrungsverzicht riecht. Nicht nur, dass man einen sensiblen Radar für frisch gebackene Brötchen im Umkreis von 50 Kilometern entwickelt, leider riecht man auch stark einparfürmierte Zeitgenossen, Schweißgeruch und nasse Hunde ein paar Meilen gegen den Wind.

Heilfasten – aus vielen Gründen interessant

Heilfasten – ein Innehalten nicht nur für den Körper, sondern auch für den Geist. Ob man es nun aus spiritueller, gesundheitlicher oder aus religiösem Interesse tut, sei jedem selbst überlassen. Seine Heilkraft ist trotz gegenläufiger Stimmen mehrfach bewiesen – neben seiner Wirksamkeit bei chronischen Erkrankungen und dem Schutz vor ihnen soll es sogar bei Krebserkrankungen helfen.

Für Fasteninteressierte sollte ein gründliches Informieren an erster Stelle stehen. Auch sollte man, wenn man erstmals fastet, dies nicht allein tun. Zuletzt ist auch die seelische Vorbereitung wichtig und dass man sich die bevorstehende Herausforderung klar macht. Oder wie meine Mama sagt: „Fasten fängt im Kopf an.“

Bild mit freundlicher Genehmigung von Pixabay.com
Lotta Johanna Stähr Verfasst von:

22 Jahre alt, Germanistikstudentin, liebt Tarantino-Filme und hört Musik für alte, bärtige Männer. Redakteurin beim FREIHAFEN.