Spielecafé: Brett und Karten in der Großstadt

Mehr als Monopoly und Mau-Mau : Im Spielecafé “Würfel und Zucker” werden die Karten neu gemischt.

Der Würfel rollt über den Holztisch, Spielfiguren bewegen sich zügig über die Felder auf dem Weg Richtung Ziel. Der nächste Zug könnte die Runde entscheiden, die fesselnde Stimmung ergreift uns alle. In den Regalen stapeln sich Kartons voll mit Karten, Kugeln, Figuren, Spielbrettern, Würfeln und allem, was das Spielherz höher schlagen lässt. Eines der Spiele nennt sich In 80 Tagen um die Welt, was an diesem Abend unsere Alternative für Mensch ärgere dich nicht ist. Hinterher geben wir den Bestseller wieder ab, denn wir sitzen nicht daheim im Wohnzimmer, sondern im Eilbeker Weg in Wandsbek. Hier bietet das Spielecafé „Würfel und Zucker“ seinen Gästen ein ruhiges Plätzchen für spannende Partien von Gesellschaftsspielen aller Art.

Silke Christensen leitet das Spielecafé Würfel und Zucker.

“Jeder Mensch spielt, davon bin ich überzeugt.”

Vor rund einem Jahr eröffnete Geschäftsführerin Silke Christensen das Lokal. Das hat sich rumgesprochen, an den Wochenenden und freitags ist es hier rappelvoll. Und über lange Besuche freut sich das Team des Cafés auch – im Gegensatz zu vielen anderen Beschäftigten in der Gastronomie. Lediglich fünf Euro werden pro Abend als Spielpauschale fällig, ein gängiger Betrag in der Szene, um die Kosten aufzufangen. Vor allem junge Leute zwischen 25 und 30 Jahren finden ihren Weg ins Café, aber auch von Familien mit Kindern bis zu Senioren, von Viel- bis zu Gelegenheitsspielern, ist alles dabei. „Ob mit Brett oder App: Jeder Mensch spielt, davon bin ich überzeugt. Einige haben nur noch nicht das richtige Spiel gefunden und kennen auch nur Klassiker wie Monopoly oder Mensch ärgere dich nicht“, erzählt Christensen.

Escape Room Spiele sind am beliebtesten

Dabei entwickelt sich die Szene seit Jahrzehnten weiter. Jährlich kommen rund 1500 neue Spiele laut Branchenverbund Spieleverlage e. V. auf den deutschen Markt. Allein für Scrabble gäbe es bei Würfel und Zucker ein ganzes Regal voller Alternativen. Besonders beliebt unter den Besucher*innen seien kommunikative und sogenannte Escape Room Spiele. Dabei löst man in der Gruppe verschiedene Rätsel. „Gerade im Café sind diese Spiele super geeignet, weil du die Lösung nach dem ersten Spielen ja schon kennst. Sowas würde sonst im heimischen Regal verstauben, hier kannst du dich gleich an anderen Varianten dieses Genres versuchen“, weiß die Betreiberin aus Erfahrung.

Spielecafés profitieren von Social Media

Doch was macht Spielecafés so beliebt? „Das Spielen ist eine Art Eskapismus, eine Möglichkeit, den Problemen der Realität zu entfliehen“, berichtet Christensen. „Das muss auch nicht zwingend eine Fantasiewelt sein. Es geht darum, vom Stress auf der Arbeit, der Politik oder dem letzten Streit mit dem*der Partner*in Abstand zu nehmen. Sich auf was völlig Anderes zu konzentrieren, das macht Freude.“ Dabei seien Cafés in diesem Stil keine Neuheit, weiß Alexa Färber, Professorin für Stadtanthropologie an der HafenCity Universität Hamburg. Schon in den 90ern seien ihr während ihres Studiums Schachcafés begegnet. Diese waren nur sehr unbekannt. Laut Christensen war die größte Herausforderung in Zeiten ohne Internet und Social Media, die Leute auch außerhalb der Nachbarschaft zu erreichen. Diese Plattformen würden neuen Spielecafés nun den Start erleichtern.

Beim Spielen lernt man sich gegenseitig kennen und vergisst schnell die Zeit

Und nicht nur das: Durch Facebook, Instagram & Co. sind auch völlig fremde Menschen in der Lage, sich zu vernetzen. Sie lernen sich beispielsweise im Netz kennen und möchten sich persönlich sehen. Was spricht da gegen eine Runde Dixit oder Mau-Mau ? Durch das Spielen haben beide eine gemeinsame Aufgabe und müssen sich nicht erst durch Smalltalk zwingen. Es ist ein anderer, besonderer Zugang zur Persönlichkeit des Gegenübers. „Die Facebook-Gruppe Neu in Hamburg trifft sich zum Beispiel gerne bei uns“, erzählt die Betreiberin des Würfel und Zucker, „die kennen sich teilweise vorher überhaupt nicht und wollen sich hier kennenlernen. Die letzte Gruppe hat sich von uns sogar Namensschilder geben lassen.“

In Deutschland sind Spielecafés wie das Würfel und Zucker allerdings relativ selten und nur in größeren Städten anzutreffen. In Kanada hingegen sind Gaststätten dieser Art schon seit ca. sieben Jahren im Trend. Laut Färber steht das in Verbindung mit der Reisebegeisterung junger Leute. Außerhalb des Hostels würden Reisende in anderen Ländern so auf diese neue Art der Geselligkeit treffen und sie mit nach Hause bringen. So, wie auch das Pub-Quiz aus England in unsere Kneipen wanderte.

Mit Spielecafés erleben wir also eine besondere Art der Geselligkeit: Wir bringen das familiäre, heimelige an einen fremden Ort und kommen so mit neuen Leuten in Kontakt. Bei Kaffee, Kuchen und einer Runde Mau-Mau.

Dieser Artikel erschien in der Print-Ausgabe 01/2018 “Cafés der anderen Art”.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Paul Kuprianow
Julia Grasmück Verfasst von: